Description: Die Biosphärenmodellierung bei der Dosisabschätzung Einleitung1 Bei der Suche nach einem Endlager für hochradioak- tive Abfälle gibt es zahlreiche zu erfüllende Sicher- heitsanforderungen an geeignete Gebiete (Untersu- chungsräume), damit das Endlager langfristig keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellt. Eine die- ser Sicherheitsanforderungen ist, dass die aus dem Endlager entwichene und in die Biosphäre transpor- tierte Radioaktivität über einen Zeitraum von einer Million Jahre bestimmte Grenzwerte für die effek- tive Dosis nicht überschreiten darf (§ 7 Endlagersi- cherheitsanforderungsverordnung). Zur Abschät- zung, welche effektive Dosis einzelne Personen möglicherweise erhalten können, wurde vom Bun- desamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und dem Bundesamt für Strahlenschutz eine Be- rechnungsgrundlage geschaffen. Nach dieser gesetzlichen Anforderung sind die Grenzwerte für die effektive Dosis im Bereich von 10 Mikro-Sievert pro Kalenderjahr für die zu erwarten- den Entwicklungen und 100 Mikro-Sievert pro Ka- lenderjahr für die abweichenden Entwicklungen festgelegt. Eine zusätzliche effektive Dosis im Be- reich von 10 Mikro-Sievert pro Kalenderjahr ist aus Sicht des Strahlenschutzes vernachlässigbar gering. Dieses Dosiskriterium wird bereits in anderen An- wendungsbereichen im Strahlenschutz umgesetzt. Zum Vergleich: Die durchschnittliche natürliche Strahlenexposition der deutschen Bevölkerung be- trägt 2100 Mikro-Sievert im Jahr. Somit liegt die zu- sätzliche effektive Dosis, die durch ein Endlager für hochradioaktive Stoffe bei zu erwartenden Entwick- lungen nicht überschritten werden darf, um mehr als den Faktor 100 unter der durchschnittlichen na- türlichen Strahlenexposition. geologischen Barrieren des Untergrundes. Allerdings genügt es nicht, nur die Menge der aus dem Endla- gersystem entwichenen Radionuklide zu betrachten, da die Radionuklide ein unterschiedliches dynami- sches Verhalten in der Biosphäre und eine unter- schiedliche Radiotoxizität aufweisen. Die möglichen Auswirkungen auf den Menschen werden erst durch die Dosisabschätzung bewertbar. Überblick über die Biosphärenmodellierung bei der Dosisabschätzung Die Biosphärenmodellierung beschreibt mithilfe ra- dioökologischer Modelle die Transport- und Anrei- cherungsprozesse der Radionuklide, die aus dem Endlager in die Biosphäre gelangen. Zunächst wer- den die radioaktiven Kontaminationen der Umwelt- medien (Grund- und Oberflächenwässer, Boden, At- mosphäre) und der Lebens- und Futtermittel auf der Basis von wissenschaftlichen Grundlagen berechnet. Dann wird die effektive Dosis der Bevölkerung aus sinnvollen Festlegungen zu deren Lebensbedingun- gen und Wirtschaftsweisen berechnet. Für die Entwicklung der Biosphäre mitsamt Klima, Topographie, Vegetation, Menschen und Tieren sind keine Prognosen über den Zeitraum von einer Mil- lion Jahre möglich, weder für die Entwicklung der Landschaft, noch für den Menschen an sich oder seine Lebens- und Wirtschaftsweise. Wegen des lan- gen Bewertungszeitraums bei der Endlagerung sind plausible Annahmen und Festlegungen zu treffen. Dies gilt unter anderem für die Verzehrsraten der Lebensmittel, die Aufenthaltszeiten und Aufent- haltsorte des Menschen und die Landwirtschaft, wie zum Beispiel die zu berücksichtigenden Nutzpflan- zen, die Bewässerung und die Erntezyklen. Der Fokus der Sicherheitsanforderungen liegt primär auf dem Endlagersystem und den technischen und 1 Sollten Ihnen Fachausdrücke nicht geläufig sein, so können Sie diese im Glossar der Informationsplattform zur Endlagersuche nachlesen. Stand: April 2022 Seite 1 von 4 Die berechnete effektive Dosis ist nur ein Indikator für die Tauglichkeit eines potenziellen Endlager- standorts und nur eines von vielen Kriterien bei der Bewertung der Standorte. Der Begriff Dosisabschät- zung wurde bewusst gewählt, da es unmöglich ist, reale effektive Dosen zukünftig lebender Menschen über den Bewertungszeitraum von einer Million Jahre zu berechnen. Vielmehr handelt es sich bei der Dosisabschätzung um eine potenzielle Dosis, die fiktive Personen unter ungünstigen Umständen the- oretisch erhalten könnten, wenn die heutigen Le- bens- und Wirtschaftsweisen für das jeweilige Klima unterstellt werden.Endlagerung gelten außerdem bestimmte Grund- sätze, die allgemein für sämtliche zu modellierenden Prozesse in der oberflächennahen Umwelt bis hin zur Dosisabschätzung anzuwenden sind: Letztlich sind standortspezifische Modelle nötig, welche die Kopplung der lokalen geologischen Gege- benheiten, der potenziellen Klimaentwicklungen und der Umwelt abbilden. Für diese standortspezifi- schen Modelle dient die Biosphärenmodellierung in der Berechnungsgrundlage zur Dosisabschätzung bei der Endlagerung als Werkzeugkasten. Mit Werk- zeugkasten ist gemeint, dass nur die Transportpfade der Radionuklide zu berücksichtigen sind, die in dem jeweiligen Untersuchungsraum tatsächlich vorkom- men können. Weist das Grundwasser eines Untersu- chungsraums beispielsweise einen Salzgehalt auf, der eine Nutzung zum Trinken, Tränken und Bewäs- sern nicht zulässt, dann entfällt dieser Kontaminati- onspfad.Außerdem gilt, dass die Annahmen für die Berech- nung der effektiven Dosis nach heutigen Maßstäben so realistisch wie mit vertretbarem Aufwand mög- lich sein sollen. Zu einer realitätsnahen Modellie- rung für die Dosisabschätzung gehört auch, dass ortsspezifische Daten des Untersuchungsraumes für bestimmte Zeiträume der Modellierung genutzt werden, wenn die Gültigkeit der Daten für den vor- gesehenen Zeitraum plausibel begründet werden kann. Grundsätze der Biosphärenmodellierung Die Biosphärenmodellierung in diesem Berech- nungsverfahren wurde in Anlehnung an die aktuell gültigen Berechnungsgrundlagen im Strahlenschutz verfasst. Dieses Vorgehen ist deswegen sinnvoll, da die Berechnungsgrundlage zur Dosisabschätzung bei der Endlagerung konsistent mit den aktuellen und etablierten Berechnungsverfahren im Strahlen- schutz sein soll. Die Modellstrukturen und Modell- annahmen wurden für die Biosphärenmodellierung vereinfachend und konservativ gewählt. Der Leitge- danke dabei war, die Exposition des Menschen so realistisch wie mit vertretbarem Aufwand möglich zu berechnen, die Exposition aber keinesfalls zu un- terschätzen. Für die Biosphärenmodellierung in der Berech- nungsgrundlage für die Dosisabschätzung bei der Bundesamt für Strahlenschutz E-Mail: ePost@bfs.de So müssen alle Radionuklide, die aus dem Endlager in die Biosphäre gelangen können, berücksichtigt werden. Einzelne Radionuklide dürfen erst dann au- ßer Acht gelassen werden, wenn nachgewiesen wurde, dass ihr Dosisbeitrag vernachlässigbar ist. Es sind auch kurzlebige Tochternuklide zu betrachten, sofern sie von langlebigen Mutternukliden nachge- bildet werden. Klimaentwicklung Das Klima eines Standortes ist gemäß Definition die charakteristische Häufigkeitsverteilung atmosphäri- scher Zustände und Vorgänge bezogen auf einen langjährigen Bezugszeitraum von meistens 30 Jah- ren. Bei den Klimaszenarien, die für einen Standort zu betrachten sind, ist in der Berechnungsgrundlage vorgegeben, dass diese „abdeckend“ sein müssen. Es sind demnach alle Klimaszenarien zu rechnen, die am Standort innerhalb der nächsten einen Million Jahre tatsächlich vorkommen können. Hier hilft ein Blick in die Klimageschichte der Region des potenzi- ellen Endlagerstandortes. Die alleinige Betrachtung zeitlich konstanter klimatischer Zustände ohne Übergangsphasen genügt jedoch nicht. Die Klimage- schichte der Erde zeigt, dass ein Übergang von ei- nem Klima in das nächste an teilweise sehr lange Übergangsphasen gekoppelt ist. In diesen Über- gangsphasen kann es zu einer deutlich erhöhten Mobilität der Radionuklide kommen. Beispiele für diese Übergangsphasen sind das Tauen von Perma- frostböden oder das Schmelzen von Gletschern. Seite 2 von 4 Die angenommenen klimatischen Entwicklungen ei- nes Untersuchungsraums sind in die nach § 3 Endla- gersicherheitsanforderungsverordnung genannten „zu erwartenden“ und „abweichenden“ Entwicklun- gen einzuordnen. Die Übereinstimmung der klimati- schen Situation für die Geosphäre und Biosphäre muss in jedem Fall und zu jedem Zeitpunkt gegeben sein. Es dürfen niemals unterschiedliche Klimaent- wicklungen für beide Sphären angenommen wer- den. Ausbreitung von Radionukliden und Umweltkonta- mination Die Geosphärenmodellierung liefert die Eingangsda- ten für die Biosphärenmodellierung. Dies sind die Fließrate des radioaktiv kontaminierten Grundwas- sers und die Konzentration gelöster Radionuklide im Grundwasser, die Eintragsrate gasförmiger Radio- nuklide und die chemische Zusammensetzung des Grundwassers, insbesondere die Konzentration der gelösten Salze. Bevorzugt sollen Messwerte aus dem Untersu- chungsraum und hydrogeologische Modelle zur Ab- schätzung der Entwicklung von Grundwasserfluss und Grundwasserzusammensetzung verwendet werden. Es sind sowohl Grundwasser als auch Ober- flächenwasser als Trinkwasser für die Bevölkerung, zum Tränken des Viehs und zur Bewässerung land- wirtschaftlicher Flächen zu betrachten. Auch für die Grundwassernutzung sind nach heuti- gen Maßstäben realitätsnahe Annahmen zu treffen. Wenn beispielsweise ein Grundwasserspeicher in 20 Meter Tiefe ausreichend Wasser liefern kann, um den angenommenen Wasserbedarf zu decken, dann darf für die Berechnung beispielsweise davon ausge- gangen werden, dass aus ökonomischen Gründen kein Grundwasserspeicher genutzt wird, der am sel- ben Standort in 300 Meter Tiefe liegt. Außerdem ist zu prüfen, ob gefördertes Grundwasser zum Trin- ken, Tränken und Bewässern nutzbar ist. Die Nutz- barkeit des Grundwassers, etwa zur Zubereitung von Säuglingsmilchnahrung, kann zum Beispiel durch seinen Salzgehalt eingeschränkt sein. Zusätz- lich ist für jeden Untersuchungsraum zu prüfen, ob in Abhängigkeit vom betrachteten klimatischen Zu- stand aufsteigendes kontaminiertes Grundwasser Bundesamt für Strahlenschutz E-Mail: ePost@bfs.de vorkommt, das zu einer radioaktiven Kontamination des Bodens und der Pflanzen führen kann. Expositionspfade Maßgebend für die Dosisabschätzungen sind die un- günstigsten Einwirkungsstellen. Das sind die Orte für die Erzeugung von Lebensmitteln und für den Auf- enthalt des Menschen, bei denen sich rechnerisch aufgrund der Umgebungskontamination jeweils die höchsten effektiven Dosen ergeben. Im Endergebnis werden für die einzelnen Untersuchungsräume Spannbreiten von Dosiswerten aus den zahlreichen Simulationsrechnungen ermittelt, die aus den Sze- narienbetrachtungen der Geosphäre und den abde- ckenden Betrachtungen der klimatischen Entwick- lungen der Biosphäre resultieren. Letztlich aus- schlaggebend ist für jeden Untersuchungsraum der höchste errechnete Dosiswert. Bei der Abschätzung der effektiven Dosis der Bevöl- kerung sind die effektiven Dosen aus folgenden Pfa- den zu addieren: 1. Äußere Exposition Von der äußeren Exposition spricht man, wenn Radi- onuklide von außen auf den menschlichen Körper einwirken. Durch Bewässerung, aufsteigendes Grundwasser oder aufsteigende Gase gelangen Ra- dionuklide in die Böden und werden dort akkumu- liert. Durch die Radionuklide im Boden wird der Mensch in Abhängigkeit von der akkumulierten Akti- vität, der Art der akkumulierten Radionuklide und der Aufenthaltszeit auf der kontaminierten Fläche exponiert. Durch Sedimentation radioaktiv kontaminierter Schwebstoffe in Oberflächengewässern werden Ra- dionuklide im Ufersediment angereichert. Wie hoch der Mensch durch Radionuklide im Ufersediment exponiert wird, ist von denselben Faktoren abhängig wie beim Boden. 2. Innere Exposition Von der inneren Exposition spricht man, wenn Radi- onuklide über den Mund oder die Atemluft in den menschlichen Körper gelangen. Hierzu zählt die Ex- position über die Nahrungskette durch den Verzehr Seite 3 von 4
Types:
Origin: /Bund/BASE/Endlagersuche
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