Description: 43 Frank Reichert Die Gründung der Königlichen Generalkommission der Provinz Sachsen zu Stendal vor 200 Jahren LSA VERM 1/2022 Die Gründung der Königlichen Generalkommission der Provinz Sachsen zu Stendal vor 200 Jahren und ihr erster Direktor Friedrich von Bismarck (1771-1847) Von Frank Reichert, Dessau-Roßlau Zusammenfassung Zur Ausführung der vielfältigen Aufgaben im Zusammenhang mit den preußischen Agrarreformen wurde am 10. Juli 1821 die Generalkommission Stendal errichtet.Ausgehend von den Rechtsgrundlagen, die den Rahmen für die Tätigkeit und die Organisation der Generalkommissionen bildeten, widmet sich der Beitrag der Gründungsgeschichte der für die preußische Provinz Sachsen zuständigen Auseinandersetzungsbehörde. 1 Einleitung Von besonderer Bedeutung für die Katastereinrichtung in den östlichen Provinzen Katastereinrichtung Preußens waren die im Rahmen der Separationen im 19. Jahrhundert entstandenen und Separationskarten großmaßstäbigen Karten. Als das „Gesetz, betreffend die anderweite Regelung der Grundsteuer“ vom 21. Mai 1861 [GS, S. 253] ein einheitliches Grundsteuerkataster für die gesamte Monarchie anordnete, zwang der knappe Vorlauf bis zum Inkrafttreten am 1. Januar1865 regelrecht dazu, anstelle einer Neuaufnahme auf sämtliche vorhan- denen Spezialkarten zurückzugreifen. Noch heute bilden die vor 1865 aufgenomme- nen Separationskarten eine bedeutsame Grundlage unseres Liegenschaftskatasters, so dass deren Entstehungsumstände eine nähere Betrachtung verdienen. Zur Durchführung der Separation bestanden in den einzelnen preußischen Provinzen Königliche Generalkommissionen. Neben der Anleitung der von ihnen vor Ort be- schäftigten Spezialkommissare und Separationsgeometer waren sie zur Herausgabe von Grundsätzen zur Anfertigung der Separationskarten und Rezesse zuständig [Stichling 1937, S. 20]. In Fachkreisen weithin bekannt ist die „Geschäfts-Instruction für die Special-Commissarien und Feldmesser im Ressort der Königlich-Preußischen General-Commission zu Merseburg“, die 1856 vom Präsidenten der Generalkom- mission Emil von Reibnitz (* Erfurt 15. April 1805; † Merseburg 16. Dezember 1868) herausgegeben wurde. Daher ist zumindest hierzulande jedem Katasterpraktiker die Generalkommission zu Merseburg ein Begriff. Weitaus weniger im Bewusstsein ist dagegen deren unmittelbare Vorgängereinrichtung. Abb. 1: Merseburger Instruktion, 1.Aufl. 1856 Wäre die „Merseburger Instruktion“ nur ein paar Jahre eher erschienen – sie müsste Generalkommissionen als „Stendaler Instruktion“ bezeichnet werden. Denn in Stendal war die Generalkom- Merseburg und Stendal mission der Provinz Sachsen seit 1821 ursprünglich ansässig. Erst aufgrund des sich mehr und mehr im südlichen Teil der Provinz abspielenden Separationsgeschäfts wur- de sie zum 1. Oktober 1853 [MBliV, S. 237] zunächst teilweise und dann mit Erlass vom 7. August 1865 [GS, S. 940] gänzlich nach Merseburg verlagert. Dort wirkte die Generalkommission 68 weitere Jahre lang; seit der Umbenennung durch das „Gesetz über Landeskulturbehörden“ vom 3. Juni 1919 [GS, S. 101] als Landeskulturamt Mer- seburg. Die Eingliederung in die allgemeine Provinzialverwaltung mittels Verordnung vom 17. März 1933 [GS, S. 43] beendete ihre behördliche Selbständigkeit, während die bestehen bleibenden landeskulturellen und agrarstrukturellen Aufgaben unter wech- Abb. 2: Siegelmarke um 1880 selnden Strukturen bis in die Gegenwart fortgeführt werden [Rakow 1995]. LSA VERM 1/2022 Frank Reichert Die Gründung der Königlichen Generalkommission der Provinz Sachsen zu Stendal vor 200 Jahren 44 Traditionen Absehbar war das anfangs nicht. 1846 hatte der langjährige Präsident von Reibnitz anlässlich des 25-jährigen Bestehens noch geglaubt, dass die Generalkommission Stendal „nimmermehr aber ein 50jähriges feiern könne“ und noch bei der dann doch stattfindenden 50-Jahrfeier war der spätere Präsident Otto Gabler (* Ansbach 6. Juni 1815; † Merseburg 3. September 1891) überzeugt, dass die mittlerweile nach Merseburg verlegte Generalkommission „nicht noch 25 Jahre bestehen werde“ [Gabler 1873]. Gabler schloss seine Festrede mit dem frommen Wunsch, dass man seiner Behörde, wenn sie „dereinst nicht mehr besteht, … ein ehrendes Andenken“ bewahren möge. 150 Jahre später ist dieses Andenken weithin verblasst. Und des- halb soll im Folgenden der Entstehungsgeschichte der Stendaler Generalkommission nachgespürt werden, gerade noch rechtzeitig zu dem im Juli 2022 zu Ende gehenden 200. Jubiläumsjahr. 2 Die preußische Agrargesetzgebung bis 1817 Separation Mit dem „amtspreußischen“ Sammelbegriff der von den Generalkommissionen be- arbeiteten „Separationen“ verbinden sich zwei eng verzahnte unterschiedliche agrarpolitische Maßnahmen. Auf der einen Seite sorgte die sogenannte „Gemein- heitsteilung“, auf der anderen Seite die „Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse“ für tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen der Agrarstruktur. 2.1 Gemeinheitsteilungen Die in Preußen seit den 1760-er Jahren systematisch geförderte Gemeinheitsteilung bezweckte die Aufhebung gemeinschaftlicher Nutzungsrechte an einem landwirt- schaftlichen Grundstück durch Verteilung unter die einzelnen Nutzungsberechtigten. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um Grundstücke im kollektiven Eigentum (Allmende) oder lediglich um wechselseitige Nutzungsberechtigungen insbesondere zur Weide oder Hutung handelte (Servituten). Abb. 3: Frontispiz des Allgemeinen Landrechts Bis zur eingehenden Neuregelung in der Gemeinheitsteilungsordnung vom 7. Juni 1821 [GS, S. 53] enthielt das Allgemeine Landrecht von 1794 dafür die materi- ellen Rechtsgrundlagen. Das Verfahrensrecht war in der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793/1795 niedergelegt. Danach sollte die „gemeinschaftlich ausgeübte Benut- zung der Grundstücke … zum Besten der allgemeinen Landescultur, so viel als mög- lich“ aufgehoben werden (§ 311 ff. I 17 ALR). Und schon damals war für die Aufhebung der „schädlichen Gemeinheiten“ eine Vermessung und Bonitierung erforderlich (§ 20 I 43 AGO), damit „die Separation auf die leichteste, schicklichste, und sämmtli- chen Interessenten vortheilhafteste Art regulirt werden könne“ (§ 25 I 43 AGO). 2.2 Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse Bauernbefreiung Einen entscheidenden Impuls für den Fortgang der Separationen im Preußischen Staat setzte die sogenannte „Regulierung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse“ im Zuge der Bauernbefreiung Anfang des 19. Jahrhunderts. Oktoberedikt über Erster Schritt dieses Reformwerks war das als Oktoberedikt bekannte „Edict den die Bauernbefreiung erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums so wie die per- sönlichen Verhältnisse der Land-Bewohner betreffend“ vom 9. Oktober 1807 [GS, S. 170]. Mit dem Ziel der Rechtsgleichheit aller Staatsbürger hob es nicht nur die ständischen Schranken beim Erwerb von Grundeigentum auf (§ 1), sondern be- 45 Frank Reichert Die Gründung der Königlichen Generalkommission der Provinz Sachsen zu Stendal vor 200 Jahren LSA VERM 1/2022 seitigte vor allem die Erbuntertänigkeit. Die Bauern gewannen die persönliche Frei- heit für alle Entscheidungen bezüglich ihres Wohnsitzes, ihrer Berufswahl, Heirat usw. und auch der Gesindezwangsdienst entfiel. Bei erblichen Bauerngütern erfolgte die entschädigungslose Aufhebung der personenrechtlichen Bindung an den Grund- herrn mit Inkrafttreten des Edikts (§ 11), bei Gutsuntertanen mit dem Martinitag 1810 (§ 12). Die auf dem Besitz eines Grundstücks lastenden Feudalrenten in Form von Frondiensten und Grundabgaben blieben hingegen vorläufig bestehen. Ungeachtet der eben errungenen persönlichen Freiheit war der bäuerliche Landbe- sitz noch immer lehnsrechtlich definiert. Die Bauern besaßen zumeist nur ein vom Feudalherrn verliehenes Nutzungsrecht, für das im Gegenzug Frondienste sowie Geld- und Naturalabgaben zu leisten waren. Art und Umfang der bäuerlichen Leis- tungen hingen dabei vom vielfältig abgestuften Besitzrecht ab, das vom eigentums- ähnlichen Recht bis hin zu reinen Zeitpachtverhältnissen reichen konnte [Schissler 1978, S. 91]. Das beste Besitzrecht besaßen die Erbzinsbauern, denen ein nur mit Abb. 4: Oktoberedikt dem Erbzins belastetes Eigentum zustand (§ 680 ff. I 18 ALR). Die zahlenmäßig stärkste Gruppe der sogenannten Lassbauern verfügte dagegen über keine Eigen- Feudale Besitzrechte tumsrechte (§ 626 ff. I 21 ALR). Als die eigentlichen Gutsbauern waren sie erbun- tertänig und stark mit Diensten belastet (§ 87 ff. II 7 ALR). Dazwischen standen die Erbpachtbauern mit einem „immerwährenden“ Nutzungsrecht (§ 187 ff. I 21 ALR). Mit dem Edikt vom 14. September 1811, „die Regulierung der gutsherrlichen und Regulierungsedikt bäuerlichen Verhältnisse betreffend“ [GS, S. 281] und der dazu ergangenen Deklara- tion vom 29. Mai 1816 [GS, S. 154] sollte nun für die große Gruppe der Lassbauern die Umwandlung der von ihnen bewirtschafteten Besitzungen in freies Privateigen- tum erfolgen, stets unter der Prämisse, dass die Bauern ihren Gutsherrn für die Auf- hebung der auf den Grundstücken ruhenden feudalen Lasten entschädigten. Abgelei- tet wurde dieser Grundsatz aus den §§ 74 und 75 der Einleitung des ALR, wonach wohlerworbene Rechte nur gegen Entschädigung entzogen werden konnten [Ipsen 2021, S. 24]. Zur Verfahrensvereinfachung sah das Regulierungsedikt dazu pau- schale Grundabtretungen für die Abgeltung der gutsherrlichen Rechte vor: Erbliche Lassbauern sollten ein Drittel, nichterbliche die Hälfte ihres Lands abtreten (§§ 10, 37). Unangetastet bleiben sollte aber in jedem Fall die Hofstelle (§ 16). Auch war statt einer Entschädigung in Land eine Ablösung in Kapital oder Rente möglich (§ 12). 2.3 Förderung der Landeskultur Einen weiteren Baustein der Agrarreformgesetzgebung bildete das ebenfalls am Änderung der 14. September 1811 erlassene „Edikt zur Beförderung der Land-Cultur“ [GS, S. 300]. Flurverfassung Mit ihm sollten weitere Hindernisse beseitigt werden, die der Verbesserung der Lan- deskultur entgegenstanden. Zielsetzung war die Aufhebung aller öffentlich-rechtli- chen Beschränkungen des Grundeigentums. Auch wenn dies nicht ausdrücklich er- wähnt wird, führten die mit dem Edikt eingeräumten absoluten Verfügungsrechte der Grundbesitzer über ihre Grundstücke (§ 1) letztlich zur Aufhebung des altherge- brachten Flurzwangs, der es bisher erfordert hatte, dass alle Parzellen eines Feldes gleichzeitig mit einer Frucht bestellt sowie Brach- und Stoppelweidezeiten eingehal- ten wurden [Rakow 2003, S. 16]. Des Weiteren sah das Landeskulturedikt vor, dass der „dritte Theil der Ackerlände- Anregung der rei“ von gemeinschaftlicher Hutung befreit werden sollte (§ 10), während die übrigen Separation zwei Drittel der Feldmark bis zu einer Gemeinheitsteilung, auf die speziell hingewie- sen wurde (§ 16), weiterhin zur gemeinsamen Weide genutzt werden durften (§ 17).
Types:
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LVERMGEO
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Language: Deutsch
Issued: 2022-06-16
Modified: 2022-06-16
Time ranges: 2022-06-16 - 2022-06-16
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