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24_Steinfliegen

Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39 (2004) Rote Liste der Eintags- und Steinflie- gen (Ephemeroptera, Plecoptera) des Landes Sachsen-Anhalt Bearbeitet von Dirk BÖHME unter Mitarbeit von Friedemann GOHR, Matthias HOHMANN, Martina JÄHRLING, Wolfgang KLEINSTEUBER und Lutz TAPPENBECK (2. Fassung, Stand: Februar 2004) Einführung Eintags- und Steinfliegen verbringen als merolim- nische Insekten den überwiegenden Teil ihres Lebens, nämlich das Ei- und Larvenstadium, in Gewässern. Ihr imaginales Dasein ist zeitlich kurz und beschränkt sich auf Partnersuche, Paarung und Eiablage. Mit dieser Lebensweise sind sie im ökologischen Sinne der Gewässerfauna zuzurech- nen. Hier haben sie oft sehr enge Bindungen an bestimmte Umweltqualitäten entwickelt. Ihr Vor- kommen bzw. Fehlen kann deshalb im Rahmen von Bioindikationssystemen zur Feststellung von Störungen des Sauerstoff- und Säurehaushaltes der Gewässer herangezogen werden. 2004 in Vorb., HOHMANN 2004 in Vorb., BRETTFELD & BELLSTEDT 2003), so dass nunmehr 66 Epheme- roptera und 55 Plecoptera aus Sachsen-Anhalt bekannt sind. Regionale Kenntnislücken bestehen vor allem bei den Ephemeroptera von Standge- wässern, für die im Gegensatz zu den Fließge- wässern im Rahmen des GÜSA (Gewässerüber- wachungsprogramm Sachsen-Anhalt) keine Un- tersuchungen des Makrozoobenthos durchgeführt wurden. Hier zogen und ziehen zudem meist an- dere, reicher vertretene Artengruppen wie Libel- len oder Wasserkäfer die Aufmerksamkeit der Faunisten auf sich. Die meisten Arten beider Ordnungen nutzen rasch strömende, gut belüftete Fließgewässer als Le- bensraum. Gleichwohl finden sich unter den Ephe- meroptera auch Arten, die langsam strömende oder Standgewässer bevorzugen. Die Dispersion ist über Abdrift und aktive Aufwanderung der Lar- ven sowie aktiven Flug und Windverfrachtung bei flugfähigen Imagines möglich. Jedoch sind insbesondere die Plecoptera als Gruppe mit sehr geringer Ausbreitungsenergie zu charakterisieren. Alle in naturnahen Gewässern vorhandenen Sub- strate mit Ausnahme von Faulschlamm und trei- bendem Feinsand werden von jeweils speziell angepassten Formen und/oder Entwicklungssta- dien besiedelt. Als Sekundärproduzenten sind beide Gruppen zumindest in der Oberen Forel- len- bis Äschenregion produktionsbiologisch re- levant, indem sie unter naturnahen Verhältnissen gemeinsam um 20-60 % der Biomasse des Mak- rozoobenthos stellen können. Dabei werden häu- fig Individuendichten in einem Bereich von ca. 5x102 bis 3x103 Tieren/m2 erreicht. Datengrundlagen Im Vergleich zur Situation bei Erscheinen der ers- ten Fassung der Roten Liste für Sachsen-Anhalt (REUSCH et al. 1993) hat sich die Datengrundlage durch intensivere Sammel- und Publikationstätig- keit quantitativ und qualitativ bedeutend verbes- sert. Zudem sind einige noch in der ersten Fas- sung berücksichtigte Arten ohne Beleg vom Lan- desgebiet oder wurden inzwischen revidiert. HOH- MANN & BÖHME (1999) stellten für das Land Sach- sen-Anhalt eine Checkliste der Ephemeroptera und Plecoptera auf. Seitdem ergaben sich einige Neunachweise und Ergänzungen (BÖHME et al. '& Abb. 1: Landschaftsgliederung Sachsen-Anhalt. In der Taxonomie wird bei den Plecoptera REUSCH & WEINZIERL (1999) gefolgt. Bei den Ephemeropte- ra liegt weitgehend die Deutschland-Liste von HAY- BACH & MALZACHER (2002) zugrunde. Lediglich bei der Gliederung der Heptageniidae auf generischem bzw. subgenerischem Niveau wird zugunsten der allgemein genutzten Gattungen auf die nicht un- umstrittene weitere Aufgliederung verzichtet. Funde aus dem Harz werden auch in dieser Ro- ten Liste wieder gemeinsam mit den Hügelland- funden denen aus dem Tiefland gegenüber- gestellt. Die Abgrenzung des Tieflandes vom Hü- gelland wurde aktualisiert (Abb. 1) und in der vor- liegenden Form auch der Roten Liste der Tricho- ptera zugrundegelegt (HOHMANN in diesem Heft). Gefährdungsursachen Tatsächliche und mögliche Gefährdungsursachen für merolimnische Insekten und ihre Lebensräu- me stellte WAGNER (1989) zusammen. Mit spezifi- schem Landesbezug wird dieser Problemkomplex in den regionalen Arten- und Biotopschutzpro- grammen (BÖHME 1997, KLEINSTEUBER 1998, TAP- PENBECK & BÖHME 1997, GOHR 2001) behandelt. Unbefriedigend ist hierbei, dass zwar etliche Stör- quellen und Belastungspfade benannt werden, deren lokale und zeitliche Relevanz jedoch kaum landesweit systematisch und quantitativ verfolgt werden kann. Hier fehlen bislang Untersuchun- gen mit klarem Bezug zu Gewässertyp, typspezi- fischer Taxozönose und Wiederbesiedlungspoten- zial, die aktuelle und realistische Be- und Entlas- tungsszenarien für Gewässer und Einzugsgebie- te berücksichtigen. Deshalb können in diesem Abschnitt nur Tendenzen aufgezeigt werden, die sich aus den Erfahrungen der Bearbeiter plausi- bel ableiten lassen. Seit der Bearbeitung der ersten Roten Liste der Ephemeroptera und Plecoptera traten z.T. erhebli- che Veränderungen der Gewässergütesituation auf. Die Belastung der Fließgewässer mit leicht abbaubaren organischen Stoffen ging landesweit zurück (MLU LSA 2002). Einleitungen von toxi- schen Produktionsrückständen und Industrieab- wässern reduzierten sich seit 1990 überwiegend durch Betriebsstilllegungen und -verkleinerungen sowie Neuerrichtung wesentlich ressourcenscho- nenderer Anlagen. Hingegen wird in der Landwirt- schaft nach wie vor intensiv mit Dünge- und Pflan- zenschutzmitteln gearbeitet, die sich zwangsläufig im Gewässernetz wiederfinden. Die anthropogene Aufsalzung einzelner Gewässersysteme ist insgesamt zurückgegangen, aber regional für ein- zelne Gewässerabschnitte im Saalegebiet immer noch ein bedeutendes Besiedlungshindernis und lokal (Untere Bode und Ohre) ein akuter Gefähr- dungsfaktor. Seit 1990 wird verstärkt über anthropogene Ver- sauerungserscheinungen in Bächen des östli- chen Hochharzes berichtet (GAHSCHE 1992, KAM- MERAD & TAPPENBECK 1995, LANGHEINRICH et al. 2002, STÖCKER 1991). Der Zeitraum des Erscheinens dieser Arbeiten ist jedoch auf die seit 1990 gege- bene allgemeine Zugänglichkeit des früheren Grenzgebietes und die seitdem uneingeschränk- te Publizität von augenscheinlichen Umweltbelas- tungen („Waldsterben“) zurückzuführen. Ähnliche Wirkungen sind für die immissionsbedingten Wald- schadensgebiete der Dübener Heide dokumen- tiert (MEY 1978). In Verbindung mit Nadelforst-Mo- nokulturen in den Einzugsgebieten bestehen er- hebliche und nur sehr langsam zu behebende Schädigungen von Gewässerchemismus und Bio- zönose. Als erst in den letzten Jahren vertieft untersuchte Stoffklasse sind die Rückstände von endokrin wir- kenden Arzneimitteln und Kontrazeptiva zu nen- nen (ARGE Elbe 2003, THALER 1998, UBA 1997). Diese belasten kommunale Abwässer und sind mit herkömmlicher Klärtechnik kaum zurückzuhalten. Begründete Hinweise auf Störungen der Gona- denentwicklung und des Vermehrungserfolges von aquatischen Tieren liegen zwar vor, jedoch ist die Relevanz dieses Wirkpfades für die beiden hier besprochenen Gruppen noch völlig ungeklärt. Die Strukturgüte zahlreicher Gewässer Sachsen- Anhalts steht derzeit in einem deutlichen Missver- hältnis zur erreichten Wasserqualität. Direkte Ver- luste von besiedelbaren Gewässern durch Ver- rohrung, Kanalisierung, Verlegung und Überstau waren seit Beginn der Industrialisierung bis 1990 quantitativ relevant. Die strukturell zerstörten Ge- wässer unterlagen oft gleichzeitig massiven Ein- trägen von Nähr- und Zehrstoffen, Industrie- und Agrarchemikalien. Im Einzelfall sind neue, direk- te Lebensraumverluste auch heute nicht ausge- schlossen. Allerdings haben sich die materiellen und rechtlichen Schwellen für derartige Eingriffe deutlich erhöht. Dies ist einerseits erfreulich, andererseits gelten diese aktuellen Restriktionen gleichermaßen für die Renaturierung und Auflas- sung von Gewässern zur natürlichen Eigendyna- mik. Daraus resultiert die nur punktuelle, zögerli- che bis halbherzige Aktivität der Unterhaltungs- und Ausbaupflichtigen bei der strukturellen Revi- talisierung des Gewässernetzes. Die qualitative Lebensraumentwertung durch Strukturverar- mung und Errichtung von Hindernissen (Quer- bauwerke, Stauanlagen usw.) ist im Nachhinein, anhand der Rest-Biozönose, oft nicht mehr von der Lebensraumentwertung durch Wasserver- schmutzung zu trennen. Nach erfolgreicher ab- wassertechnischer Sanierung manifestieren sich die strukturellen Defizite deutlicher, indem die Wiederbesiedlung solcher Gewässerabschnitte qualitativ eingeschränkt und/oder zeitlich stark ver- zögert wird. Störungen einzelner Gewässerstre- cken sind durch Reaktivierung und Neuerrichtung von Wasserkraftanlagen an den größeren Fließ- gewässern zu erwarten. Auch wenn sie auf bereits bestehende Staustufen beschränkt bleiben, so sind diese Projekte doch meist mit Stauzielerhö- hungen verbunden und beeinträchtigen damit den Fließgewässercharakter der Rückstaubereiche. Die Verdrängung des gewässerheimischen Ar- tenspektrums durch Neozoen ist vor allem in den Binnenwasserstraßen relevant. Hier sind in Deutschland mittlerweile mehr als 35 z.T. sehr kon- kurrenzstarke Fremdarten aus nahezu allen Erd- teilen heimisch geworden (TITTIZER et al. 2000). Konkurrenzeffekte bzw. die Blockierung entlas- tungsbedingt freiwerdender ökologischer Nischen für die heimische Fauna sind zumindest zu ver- '' 0 Eintagsfliegen Tiefland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Bergland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Steinfliegen Tiefland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Bergland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Eintagsfliegen Tiefland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Bergland Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Gefährdungskategorie R 1 2 3 Rote ListeGesamt 44 1236315 2,34,56,813,66,834,1 71331428 11,71,75,05,223,346,7 --42410 --22,211,122,255,5 4234821 7,73,85,87,715,440,4 Kategorien G DSonstige GesamtGesamt V-41544 -9,12,311,4-235 -3,35,08,3 Tab. 1: Übersicht zum Gefähr- dungsgrad der Eintags- und Steinfliegen Sachsen-Anhalts. 60 18 52 Tab. 2: Übersicht zur Einstu- fung in die sonstigen Kategori- en der Roten Liste. 60 Die Kategorie „V“ -Vorwarnliste- wurde nicht vergeben, da hierfür die Datengrundlage derzeit nicht ausreichend ist. muten (TITTIZER et al. 1990) und bedürfen näherer Untersuchung. Bei einer Erhebung an der Saale im Stadtgebiet von Halle im Jahr 2003 betrug der Anteil von Arten dieser Gruppe je nach Substrat zwischen 25 % und 90 % der Gesamtindividuen- zahl (BÖHME unveröff.). Die Reversibilität dieser Prozesse ist fraglich, da Invasionen von einmal erfolgreich angesiedelten Fremdarten (egal ob Tier oder Pflanze) bislang selbst unter Einsatz von nachträglich eingeführten Feinden und Parasiten sowie mit hartem Chemikalieneinsatz kaum zu beherrschen waren. Bestandsentwicklung Die Biozönosen der Berglandgewässer waren in ihrer Gesamtheit nie so flächendeckend geschä- digt wie die größeren Gewässer (Hyporhithrale und Potamale) im Hügel- und Tiefland. Demzu- folge ist der qualitative Sprung für die letztgenann- ten Gewässer um so größer, und hier fallen die früheren Verluste wie auch die Neu- bzw. Wieder- besiedlung durch anspruchsvollere Arten am meisten auf. Die Gruppe der typischen Unterlaufbewohner, die in den letzten Jahren wieder in z.T. erstaunlich hoher Individuendichte angetroffen werden konn- ten, umfasst u.a. die Ephemeroptera Baetis bu- ceratus, Heptagenia sulphurea, H. flava, H. coe- rulans, Oligoneuriella rhenana und Potamanthus luteus. Offenbar konnten kleine Restbestände aus einzelnen Zuflüssen von Elbe, Schwarzer Elster, Saale und Mulde die plötzlich verfügbaren freien  Nischen nutzen und sich zügig wiederausbreiten. Dem weiteren Vordringen dieser Arten in andere Zuflüsse stehen jedoch oft Besiedlungshindernis- se entgegen: Wanderungsbarrieren wie Wehre und Stauanlagen, naturfremde Ausbaustrecken mit ungeeigneten Substraten sowie Abschnitte mit noch unzureichender Wasserqualität. Zu den ersten in den größeren Tief- und Hügel- landgewässern wieder auftretenden Plecoptera gehört die euryöke Leuctra fusca. Von den eigent- lichen Fluss-Plecoptera sind Siphonoperla bur- meisteri und Marthamea vitripennis in Sachsen- Anhalt ausgestorben. Weitere Arten mit ähnlicher längszonaler Bindung kamen oder kommen in den Nachbarländern vor, ohne dass Altnachweise aus Sachsen-Anhalt vorliegen. Aus den ökologischen und biogeographischen Verhältnissen ist keine plausible Begründung derartiger Verbreitungslü- cken abzuleiten (ZWICK 1992) – es handelt sich wohl eher um historische Bearbeitungslücken. Deshalb dürfte das Spektrum unbemerkt ver- schwundener Arten also deutlich größer sein. Ei- ner Wiederbesiedlung durch diese Arten in abseh- barer Zeit stehen die großen Distanzen zwischen den in Mitteleuropa verbliebenen Restvorkommen und die geringe Dispersionskapazität der Plecop- tera entgegen. Immerhin lassen überraschende Neufunde von Brachyptera braueri (Plecoptera) in der Saale (BRETTFELD & BELLSTEDT 2003) hoffen, dass noch Restbestände vorhanden sind. Die Unterläufe der größeren Harzgewässer un- terlagen nach Eintritt in das Harzvorland ebenfalls

Types:

Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

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Issued: 2005-06-15

Modified: 2005-06-15

Time ranges: 2005-06-15 - 2005-06-15

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