Description: 4.2.1 Pilze, Flechten und Pflanzen 4.2.1.1 Großpilze und Schleimpilze (Mycota et Myxomycetes) – D. PENKE & U. TÄGLICH Einleitung Pilze sind vorwiegend heterotrophe Organismen, die sich im Wesentlichen von lebenden und toten organischen Substanzen ernähren. Ihre Arten- vielfalt ist zurzeit noch nicht überschaubar, wobei mikroskopisch kleine Arten dominieren. Aus dem Reich der Pilze werden in dieser Arbeit insbesondere die Makromyceten (Großpilze) berücksichtigt, außerdem finden Myxomyceten (Schleimpilze) sowie einige Zygomyceten Ein- gang. Behandelt werden bei den Makromyceten die Ordnungen Agaricales, Aphyllophorales s. l., Russulales und ausgewählte Gattungen aus der Klasse der Ascomyceten, soweit sie zu den Groß- pilzen gerechnet werden können. Aufgrund der Ernährungs- und Lebensweise wird unterschie- den in: • Saprophyten, die auf pflanzlichen Resten oder im Humus des Bodens leben und tote organische Substanz abbauen, • Mykorrhiza-Pilze, die eine Lebensgemein- schaft mit Pflanzen bilden und • Parasiten, die lebende Organismen befallen. Daraus ergibt sich ein vielfältiges Artenspektrum, zumal diese Großpilze die unterschiedlichsten Bio- tope besiedeln und praktisch in fast allen Naturräu- men zu finden sind. Im Naturhaushalt besitzen Pilze wichtige Funk- tionen beim Abbau und der Remineralisation or- ganischer Substanz. Sie fungieren somit z. T. als Regulierer eines Stoffkreislaufes, den andere Or- ganismen nicht übernehmen können. Weiterhin sind einige Arten als Mykorrhiza-Bildner eine un- verzichtbare Existenzgrundlage für zahlreiche Ge- fäßpflanzen. Zahlreiche Phanerogamen sind mehr oder weniger abhängig von ihren Mykorrhiza- Partnern, wie z. B. Orchideen. Ihre Bedeutung für den Artenschutz darf somit nicht unterschätzt werden, auch wenn die Pilzarten selbst z. T. nicht auffällig in Erscheinung treten. Neben ihrer Be- deutung im Stoffkreislauf der Natur können zahl- reiche Arten als Bioindikatoren angesehen wer- den. Großpilze reagieren nicht nur auf Klima- und Wetterveränderungen, sondern auch sehr sensi- bel auf anthropogene Umweltbeeinflussung (z. B. Immissionen aus der Luft, Bodenversauerung, Änderung der Bewirtschaftungsformen in der Landwirtschaft oder forstwirtschaftliche Eingriffe), infolge dessen eine relativ große Artenfluktuation zu verzeichnen ist. Daneben sind gerade Großpilze auch als Speise- bzw. Giftpilze von Bedeutung. Während zahlreiche Blütenpflanzen in der Regel ein größeres Beharrungsvermögen zeigen und ab- sterbende Biotope immer noch (zwar individuen- ärmer) besiedeln, ist demgegenüber ein soforti- ges Ausbleiben bestimmter Pilzarten bei Beein- trächtigungen des Lebensraumes zu verzeichnen. Die Auswertung ökologischer Pilzkartierungen lässt somit eine unmittelbare Aussage über den Zustand des jeweiligen Biotops zu. Neben den Großpilzen aus den Gruppen der Basidiomyceten (Ständerpilze) und Ascomyceten (Schlauchpilzen), die den Großteil der hier be- handelten Arten stellen und die z. T. auch Laien bekannt sind, werden auch Hypogäen und die Myxomyceten (Schleimpilze) behandelt. Die Hypo- gäen stellen keine systematisch homogene Gruppe dar. Sie bilden die Fruchtkörper unter der Laubstreu oder in geringer Tiefe des Ober- bodens. Wegen der unauffälligen Lebensweise waren Funde dieser Artengruppe bisher eher nur zufällig. Von den ca. 1.000 weltweit beschriebenen Myxo- myceten wurden im Untersuchungsgebiet bisher 106 Arten nachgewiesen. Schleimpilze sind eine Gruppe von Lebewesen, welche die meiste Zeit ihres Lebenszyklus im Verborgenen verbringen und erst während der Ausbildung der Fruchtkörper auffällige Erscheinungsformen zeigen und dadurch nachgewiesen werden können. Myxomyceten sind überall zu finden. Die größte Artenzahl lebt an Holz, wobei sowohl lebendes als auch totes Holz besiedelt wird. Andere Arten leben am Boden, fruktifizieren auf Laub, krautigen Pflanzen oder vorjähriges Gras und Pflanzenreste. Erfassungsstand Der Bearbeitungsstand im Erfassungsgebiet ist räumlich und zeitlich differenziert zu betrachten. Es sind nur wenige historische Quellen bekannt, die zudem nur bedingt verwendet werden kön- nen. In der "Flora Anhaltina" von SCHWABE (1838, 1839) und in der "Flora von Halle" von GARCKE (1856) sind Angaben zu Pilzvorkommen, die das zu beschreibende Gebiet betreffen könnten, oft nicht genau zu lokalisieren. Erste genauere pilz- floristische Angaben stammen aus Karteien von Amateur-Mykologen. Pfarrer CARL LINDNER, der im Gebiet um Freyburg, Naumburg und Bad Kösen in den Jahren 1913 bis 1947 wirkte, registrierte bereits etwa 750 Arten. Diese Angaben sind aber noch nicht vollständig ausgewertet, zumal auf- grund von taxonomischen und Bestimmungspro- blemen zahlreiche Arten als kritisch zu betrach- ten sind. Trotzdem lässt sich hier bereits ein typi- sches Artenspektrum erkennen. Ihm folgte der Bankangestellte WERNER METZE (1908-1988) mit 127 Abb. 4.1: Nachweise von Groß- pilzen und Schleimpilzen pilzfloristischen Arbeiten vor dem 2. Weltkrieg und in den fünfziger Jahren in der Umgebung von Naumburg. Die Ergebnisse sind in der Standort- kartei von KARL KERSTEN (Lektor für Pilzkunde an der Martin-Luther-Universität Halle) eingearbeitet worden. Für die Pilzfloristik war und ist KERSTENS Wirken von unschätzbarem Wert. Bedeutend sind die Arbeiten des Chemikers und Lehrers KARL-HEINZ SAALMANN (1893-1971), der ab 1945 in Weißenfels wirkte. Er ist nicht nur be- kannt durch seine Pilzaquarelle (ca. 2.000 befin- den sich im Herbar Haussknecht der Friedrich- Schiller-Universität Jena), sondern auch durch seine Studien zu den schwierigen Gattungen Inocybe und Cortinarius. Die Fortsetzung dieser Studien durch M ANFRED HUTH aus Freyburg schlagen sich in einem sehr guten Kenntnisstand in diesen Gattungen nieder. Fast gleichzeitig wirkte in Weißenfels PAUL NOTHNAGEL (1897-1976), der sich Spezialkennt- nisse über Ascomyceten aneignete (besonders die Gattungen Peziza, Helvella und Morchella). Seine Kartei, die auch zahlreiche Nachweise für das Saale-Unstrut-Triasland enthält, befindet sich bei U TE NOTHNAGEL, die in die Fußstapfen ihres Vaters trat. Eine Intensivierung der mykofloristischenArbeiten ist etwa ab 1970 zu registrieren. Ab dieser Zeit gibt es umfangreiche Fundortkarteien, die für das Erfassungsgebiet ausgewertet werden können. Die wichtigsten Datenquellen sind also neuerer 128 Art. Neben den Kartierungs-Unterlagen der Flo- risten sind zu nennen: • Pilzflora der DDR (1987) • Checkliste der Pilze Sachsen-Anhalts (1999) • die in Arbeit befindliche Pilzflora von Sachsen- Anhalt • Exkursionsprotokolle des LFA, soweit sie das zu behandelnde Gebiet betreffen • Verbreitungskarten für Ostdeutschland (aus- gewählte Arten). Für die Datensammlung im Saale-Unstrut- Triasland wurden die historischen Quellen, Her- barien (Halle, Jena, Leipzig) sowie die Nachlässe von K. KERSTEN, P. NOTHNAGEL und K.-H. SAALMANN ausgewertet. Umfangreiche aktuelle Daten stam- men aus der Kartierung durch mykologische Ar- beitskreise (Fachgruppe Mykologie Merseburg, Landesfachausschuß Mykologie im NABU Deut- schland e.V.), aus der Auswertung von Pilzbera- tungen (vorwiegend Ziegelrodaer Forst) und Ein- zelaufzeichnungen zahlreicher Amateurmykologen. Die gezielte Kartierung im südlichen Teil des Saale-Unstrut-Triaslandes ergab einen erstaunli- chen Artenreichtum (Abb. 4.1, 4.2). Entsprechend der geschilderten Datenlage (wenige historische Quellen) lassen sich aber kaum verschollene bzw. ausgestorbene Arten mit Sicherheit angeben, zumal zahlreiche ältere Angaben einer kritischen Beurteilung nach heutigen Erkenntnissen nicht standhalten. Demgegenüber stehen aber, bedingt durch die intensive aktuelle Kartierung im Unter- Abb. 4.2: Nachweise von ausge- wählten Groß- und Schleimpilzen suchungsgebiet, nicht wenige Neu- bzw. Erstnach- weise für Sachsen-Anhalt oder Deutschland. Gemäß der eingeschätzten Datenlage und des Erfassungsstandes ist der Nachweis der vorkom- menden Arten noch unvollständig, jedoch kann er als repräsentativ angesehen werden. Bedeutung des Saale-Unstrut-Trias- landes für die Pilze Im Saale-Unstrut-Triasland sind bisher 1.950 der über 3.000 bisher in Sachsen-Anhalt nachgewie- senen Pilzarten festgestellt worden. Davon wer- den 102 Spezies als landschaftsraumbedeutsam eingestuft (Tab. 4.2). Das entspricht 5 % der lan- desweit erfassten Arten. Dieses Artenspektrum kann als außerordentlich hoch angesehen wer- den – die überregionale Bedeutung des Saale- Unstrut-Triaslandes bestätigt sich somit auch durch die Erkenntnisse auf dem Gebiet der My- kologie. Die Ursachen für den Artenreichtum liegen in den klimatischen und geologischen Besonderheiten des Untersuchungsgebietes. Daraus sowie aus den spezifischen Nutzungsverhältnissen resultie- ren ein besonderer Strukturreichtum und die Viel- gestaltigkeit der Lebensräume, was vielen Arten, darunter zahlreiche regionale Besonderheiten und seltene Arten, die Existenz ermöglicht. Das zum mitteldeutschen Trockengebiet gehören- de Saale-Unstrut-Triasland ist durch ein relativ niederschlagsarmes, sommerwarmes und winter- mildes Klima charakterisiert. Die jährlichen Nie- derschläge schwanken, von West nach Ost ab- nehmend, zwischen 600 und 500 mm, wobei in den Niederungen der Unstrut sogar Werte unter 500 mm zu verzeichnen sind. Die Pilzflora zeigt daher einige Besonderheiten durch das Vorkom- men östlicher und südlicher Elemente, wie bei- spielsweise einige Cortinarien, deren Verbrei- tungsareal vorwiegend mediterran ist. Geologisch bedeutsam für das sehr differenzierte Artenspektrum der Großpilze sind u. a. Sand- steine in Hanglagen oder auf Plateaus, Muschel- kalkhänge an der Unstrut und Saale sowie lößbe- deckte Muschelkalkplateaus. Eine Reihe von Pilzen weist eine direkte Bindung an den Kalkgehalt des Untergrundes auf. So ist es wahrscheinlich, dass Schleimpilze, die Kalk in ihre Fruktifikationen ein- lagern, den notwendigen Kalk aus mineralreichen Böden erhalten. Deshalb ist es nicht verwunder- lich, dass im Untersuchungsgebiet im Bereich der kalkhaltigen Böden der Hauptanteil der Arten aus der Familie der Physarales nachgewiesen werden konnten. Auch einige Mykorrhiza-Pilze werden ausschließlich auf kalkreichen, teilweise ausgesprochen wärmebegünstigten Standorten wie Orchideen-Buchenwäldern gefunden. Die Ar- beiten zum Arten- und Biotopschutzprogramm bestätigen auch, dass Gebiete kalkhaltiger Böden besonders hypogäenreich sind. 129
Types:
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2009-02-02
Modified: 2009-02-02
Time ranges: 2009-02-02 - 2009-02-02
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