Description: Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Sonderheft 2/2010: 53–61 4.1.3 Unio crassus (PHILLIPPSON, 1788) – Bachmuschel Katrin HARTENAUER Bivalvia: Flussmuscheln (Unionidae) Kurzcharakteristik der Art Kurzbeschreibung: Die Bachmuschel oder Klei- ne Flussmuschel besitzt eine gelb- bis dunkelbrau- ne Schale mit einer Länge zwischen 40-70 mm und Höhe von 30-40 mm. Ihre Form ist elliptisch bis eiförmig mit einem breit zungenförmigen Hin- terteil. Bachmuscheln sind obligat getrennt-ge- schlechtlich. Lebensraum und Biologie: Die Art lebt in Bä- chen und Flüssen und gilt als Charakterart für Fließgewässer der Hügellandstufe und des Tief- landes. Ihre höchsten Individuendichten erreicht sie im unteren Teil der Forellenregion sowie in der Äschenregion. Die Biotopansprüche der Bachmu- schel sind komplex und insgesamt als ziemlich hoch einzustufen. Die Jungtiere leben in sandi- gem, meist kiesigem Substrat, seltener auch im Lehm oder Schlick, während die Altmuscheln hin- sichtlich des Substrats weniger anspruchsvoll sind und gelegentlich auch an schlammigen Stellen zu finden sind. Stabile Bestände benötigen eine Was- sergüte von I-II bis höchstens II (SCHMIDT 1990). Über ihren komplizierten Entwicklungszyklus ist die Ökologie der Art besonders eng mit der Bio- zönose ihres Habitats verknüpft. Ihre Fortpflan- zung verläuft über Glochidienlarven, die vom Weibchen ausgestoßen werden und sich an den Kiemen und Flossen von Wirtsfischen festsetzen und sich dort zu Jungmuscheln entwickeln. Voll- ständig umgewandelte Jungmuscheln fallen vom Fisch ab und leben anschließend 2-5 Jahre im Interstitial des Gewässergrundes. Als Wirtsfische kommen Döbel, Elritze, Groppe, Rotfeder, Hasel, Kaulbarsch, Moderlieschen, Neunstachliger und Dreistachliger Stichling in Betracht (nach NAGEL 1999, HOCHWALD 1997). Verbreitung: Große Teile des europäischen Fest- landes mit Ausnahme der Britischen Inseln, der Iberischen Halbinsel und Italien werden von der Bachmuschel besiedelt. Darüber hinaus umfasst das Areal das gesamte Schwarzmeergebiet und reicht bis Mesopotamien (FALKNER 1990, BAYERI- Abb. 4.1-26: Unio crassus (PHILLIPSSON, 1788) – Bach- muscheln; verschiedener Altersstadien (Foto: K. HAR- TENAUER). L ANDESAMT FÜR U MWELTSCHUTZ 1995). In Deutschland liegen die aktuellen Hauptvorkom- men in Süddeutschland und im westlichen Nord- ostdeutschland (COLLING & SCHRÖDER 2003). In ST war bislang nur eine Restpopulation im Helme- system im unmittelbaren Grenzbereich zu Thürin- gen bekannt. Im Sommer 2005 wurde ein zweites Vorkommen in der Altmark westlich Salzwedel entdeckt (HARTENAUER 2006). SCHES Bezüglich des Gefährdungs- und Schutzstatus wird auf Tab. 1-1 verwiesen. Kenntnisstand und Vorkommen in Sachsen-Anhalt Aktuell sind drei voneinander abgrenzbare Vorkom- men der Art in ST bekannt. Ein Vorkommen befin- det sich im Südteil des Landes im Helmesystem (Landkreis Mansfeld-Südharz) und setzt sich im unmittelbar benachbarten Thüringen fort. Die bei- den anderen Vorkommen liegen in der Altmark und wurden erst im Jahr 2005 im Gewässersystem der Dumme (von Herrn Dr. U. ZUPPKE, Lutherstadt 53 Wittenberg) und im Jahr 2008 in der Jeetze (KÖR- NIG & HARTENAUER 2009) festgestellt. Das Vorkommen in der Helmeniederung ist sehr gut untersucht (BÖSSNECK 1999, BUTTSTEDT 1999a, b; 2000; 2001). Die beiden Hauptvorkommen be- finden sich in der Kleinen Helme bei Edersleben sowie im Mühlgraben bei Martinsrieth. Im Gewäs- sersystem der Dumme wurde im Jahr 2007 die Ausdehnung des Bachmuschelvorkommens er- fasst (RANA 2007). Hier besiedelt die Art vor allem weite Strecken des Molmker Baches und der Bee- ke (inkl. Kalter Graben), während sie innerhalb der Salzwedeler Dumme und der Alten Dumme nur in Teilabschnitten zu finden ist. Das Vorkommen in der Jeetze bei Beetzendorf wurde erst Ende 2008 festgestellt; dessen räumliche Ausdehnung ist noch nicht bekannt. Historische Literaturangaben und subrezente Schalenfunde der Bachmuschel beziehen sich vor allem auf den Südteil von ST bis in Höhe der Ver- bindungslinie Haldensleben-Burg (z. B. REINHARDT 1874, R EGEL 1894, GOLDFUSS 1900, HONIGMANN 1906, WOBIS 1906, ISRAEL 1913, REGIUS 1929-38, 1964, 1966), wo die Art vor allem für das Saale- Elbe-System, aber auch das Aller-Weser-System angegeben wird. Für die sich nördlich anschlie- ßenden Naturräume war U. crassus bis zum Jahr 2005 nicht belegt. Die neuen Nachweise der Bachmuschel in den vergangenen Jahren in der Altmark machen die Kenntnislücke bezüglich ihrer Verbreitung vor al- lem im Nordteil Sachsen-Anhalts deutlich, was auf ein allgemeines Erfassungsdefizit zurückzuführen ist. Gerade hier sind weitere Vorkommen der Art nicht ausgeschlossen. Hierauf deuten auch Leer- schalenfunde der vergangenen Jahren in weite- ren Gewässern hin, z. B. aus der Biese bei See- hausen oder der unteren Havel bei Garz (KÖR- NIG, schriftl. Mitt.). In ST besiedelt die Bachmuschel kleinere Bach- läufe und Gräben in Niederungsgebieten (aktuell Helme- und Dummeniederung). In den mittleren und größeren Flussläufen wie Saale und Unstrut sind ihre Vorkommen erloschen. Erfassungsmethodik Die methodische Vorgehensweise richtet sich im Wesentlichen nach den Vorgaben des Bundes- amtes für Naturschutz (unpubliziert, erarbeitet von H. KOBIALKA und M. COLLING), welche nachfolgend Eingang bei SCHNITTER et al. (2006) fanden. Bei den Vorgaben zur Transektlänge und Vermessung aller festgestellten Individuen wurde von dem Bewertungsschema abgewichen. Auswahl der Probeflächen Vor Beginn der Geländearbeiten erfolgte eine Recherche zu den konkreten Vorkommen der Art, um den Fundort möglichst genau einzugrenzen. 54 Darüber hinaus wurden Gewässerabschnitte un- ter- sowie oberhalb der genannten Fundorte bzw. zwischen den Fundorten aufgesucht. Das Bewertungsschema sieht als Bezugsgröße zur Abschätzung der Siedlungsdichte und Popu- lationsgröße eine Transektlänge von einem lau- fenden Fließgewässermeter vor. Diese ist für klei- ne Fließgewässer wie die Kleine Helme oder Bee- ke mit einer Gesamtbreite von max. 3 Metern zu gering. Zur Minderung von Zufallseffekten er- schien eine Transektlänge von 25 m zur Erfas- sung der Siedlungsdichte und -struktur repräsen- tativ. Jedes Transekt kann somit sowohl eine grö- ßere Ansammlung von Tieren, als auch Bereiche mit geringer Besiedlungsdichte (Einzeltiere bis kleine Gruppen) sowie Abschnitte, die gänzlich unbesiedelt sind, umfassen. Probenahme Die Fließgewässerabschnitte wurden bach- aufwärts begangen und quer zur Fließrichtung auf Muscheln untersucht. Um möglichst alle Tiere zu erfassen, wurde der Gewässergrund erst mit den Händen abgetastet und anschließend Teilflächen mit einem Sieb auf Jungmuscheln untersucht. Für die Ermittlung der Populationsstruktur werden vorgabenkonform alle Individuen vermessen und hinsichtlich Größenklasse dokumentiert. Weiterhin erfolgte bei allen aufgefundenen Tieren eine Al- tersbestimmung durch das Auszählen der Wachs- tumsunterbrechungen („Jahresringe“). Situation in den bearbeiteten FFH-Gebieten FFH-Gebiet 0134 – „Gewässersystem der Helmeniederung“ Vorkenntnisse: Die Nachweise in der Helmenie- derung gehen auf die Untersuchungen von BÖSS- NECK (1999) und BUTTSTEDT (1999a, b, 2000, 2001) in der Kleinen Helme, dem Mühlgraben bei Mar- tinsrieth und dem Hohlstedter Flutgraben (BUTT- STEDT 1999a) zurück. Die beiden Hauptvorkom- men befinden sich in der Kleinen Helme bei Eders- leben sowie im Mühlgraben bei Martinsrieth. Im Hohlstedter Flutgraben wurde nur ein Alttier nach- gewiesen. Aktuelle Vorkommen: Im FFH-Gebiet wurden die beiden Hauptvorkommen von U. crassus in der Kleinen Helme zwischen Brücken und Edersleben sowie im Mühlgraben westlich Martinsrieth unter- sucht. In letzterem wurden zwei Transekte be- probt. Trotz abschnittsweise guter struktureller Vo- raussetzungen konnte die Art hier aktuell nicht lebend nachgewiesen werden, was auf die äußerst geringe Besiedlungsdichte zurückzuführen sein dürfte. BUTTSTEDT (2001) ermittelte auf 2000 m un- tersuchten Gewässerlauf nur 22 Alttiere. An der Kleinen Helme wurden sieben Probestre- cken bearbeitet. Lebendnachweise liegen nur von der Probestrecke 1,5 km westlich der Ortschaft Edersleben vor. Bewertung des aktuellen Erhaltungszustandes: Der Erhaltungszustand der Art im FFH-Gebiet wird als „mittel bis schlecht“ (C) eingestuft. a) Population Aufgrund der geringen Besiedlungsdichte sowie der fehlenden Jungtiernachweise (Mühlgraben Martinsrieth) bzw. des geringen Jungtieranteils (Kleine Helme) kann der Zustand der beiden Po- pulationen jeweils nur mit „mittel bis schlecht“ (C) bewertet werden. Die gesamte Populationsgröße dürfte unter 1000 Tieren liegen. b) Habitat Beide Gewässer sind stark begradigt und weisen kaum natürliche Fließgewässerstrukturen auf. Die Gräben sind im Regelprofil ausgebaut. Das Sub- strat ist überwiegend schlammig, sandig-kiesige Abschnitte bleiben auf wenige Bereiche be- schränkt (z. B. unterhalb der Wehre, durch Ufer- gehölze beschattete Abschnitte). Die Fließge- schwindigkeit beider Gewässer ist gering. Von den für U. crassus relevanten Wirtsfischen kommen Kaulbarsch, Hasel, Döbel, Moderlieschen, Drei- stachliger Stichling und Rotfeder vor. Die Wasser- qualität beider Gewässer wurde jeweils mit „gut“ (B) bewertet. Insgesamt wird die Habitatqualität des Mühlgrabens mit „C“ und die der Kleinen Hel- me mit „B“ bewertet. Abb. 4.1-27: Kleine Helme (Foto: K. HARTENAUER). festgestellt, seine vollständige räumliche Ausdeh- nung ist noch nicht bekannt. Im Bereich der Stra- ßenbrücke in Höhe der Ortslage Jeeben wurden einzelne Tiere aufgefunden (Abb. 4.1-28). c) Beeinträchtigungen Der Wasserkörper ist durch Einträge aus den umliegenden landwirtschaftlichen Nutzflächen (Äcker, Grünländer), dem Helme-Stausee und Gemeindeabwässer z. T. stark belastet. Die hohe Nährstofffracht in Verbindung mit der geringen Durchflussmenge hat eine starke bis 1 m mächti- ge Verschlammung der Gewässersohle zur Fol- ge. Nachteilig wirkt sich in diesem Zusammenhang auch das Fehlen natürlicher Fließgewässerstruk- turen aus. Beide Gewässer unterliegen damit „starken“ Beeinträchtigungen (C).Vorkommen außerhalb der gemeldeten FFH-Gebiete Handlungsbedarf: Die artspezifisch ausgerichte- ten Erfordernisse der Pflege oder Nutzung der Habitatflächen sind bereits im MMP dargestellt worden und bedürfen dringend der Umsetzung.Der Vorkommensschwerpunkt im Gewässersys- tem der Dumme befindet sich in den drei miteinander in Verbindung stehenden Gewässern Molmker Bach, Kalter Graben und der Beeke. Der Kalte Graben und die Beeke sind vollständig mit der Bachmuschel besiedelt. Im Molmker Bach erstrecken sich die Nachweise beginnend west- lich Peckensen bis zu dessen Mündung in die Salzwedeler Dumme. Situation im Land Sachsen-Anhalt Repräsentanz der Vorkommen innerhalb der FFH-Schutzgebietskulisse Von den drei aktuell bekannten Vorkommen der Bachmuschel befinden sich die Vorkommen in der Helmeniederung (Haupteinheit D18) und in der Jeetze (Haupteinheit D29) innerhalb von FFH- Gebieten. Letzteres liegt anteilig in den FFH-Ge- bieten 0005 „Jeetze südlich Beetzendorf“ und 0219 „Jeetze zwischen Beetzendorf und Salzwe- del“. Dieses Vorkommen wurde erst Ende 2008 Das Vorkommen im Gewässersystem der Dum- me (Haupteinheit D29) ist noch nicht EU-recht- lich gesichert. Im Jahr 2007 wurde die Ausdeh- nung des Vorkommens erfasst und ein Abgren- zungsvorschlag für ein potenzielles FFH-Gebiet unterbreitet (RANA 2007). Hier sollte eine FFH- Nachmeldung erfolgen und damit der überregio- nalen Bedeutung des Vorkommens Rechnung getragen werden. Das Vorkommen in der Beeke in Höhe der Ort- schaft Wallstawe wurde im September 2005 kar- tiert und bewertet (RANA 2005, publ. in HARTENAU- ER 2006). Der Gewässerlauf der Beeke ist insgesamt stark gestreckt, naturnahe Strukturen wie Kolke, Ausbuchtungen und Unterspülungen sind nur abschnittsweise bzw. punktuell vorhan- den. Das Fließgewässer zeichnet sich durch eine geringe Substratheterogenität aus. Es kommen 55
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Language: Deutsch
Issued: 2010-11-15
Modified: 2010-11-15
Time ranges: 2010-11-15 - 2010-11-15
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