Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 151–186 7 Bearbeitet von Dieter Frank, Philipp Brade, Daniel Elias, Berit Glowka, Armin Hoch, Heino John, Albert Keding, Stefan Klotz, Andreas Korschefsky, Anselm Krumbiegel, Stefan Meyer, Frank Meysel, Peter Schütze, Jens Stolle, Guido Warthemann und Uwe Wegener (4. Fassung, Stand: September 2019) Einführung Nach den Roten Listen von 1978 (Rauschert 1978), 1992 (Frank et al. 1992) und 2004 (Frank et al. 2004) liegt nun die vierte Fassung der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen für das Bundesland Sachsen-An- halt vor. Der Vergleich mit den vorangegangenen Listen, insbesondere mit der methodisch nach ähnlichen Vorgaben erarbeiteten dritten Fassung (Frank et al. 2004), lässt die Auswirkungen der drastischen Verän- derungen der gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Landnutzung auf die Pflan- zenwelt in den letzten zwei Jahrzehnten erkennen (vgl. auch Frank & Schnitter 2016, Frank 2018). Vielfach sind konkurrenzschwächere Arten, die an räumlich und/oder zeitlich begrenzte Nischen/Bioto- pe angepasst sind, noch stärker gefährdet. Sie werden oft durch die Konkurrenz anderer Arten, die durch das landesweit drastisch erhöhte Nährstoffangebot ge- fördert werden, verdrängt. Oft handelt es sich dabei auch um Arten von Sonderstandorten – Wuchsorte, die es in einer immer vollständiger und immer ein- heitlicher genutzten Landschaft kaum noch gibt. Auch der bisher schon überproportional hohe An- teil von Arten feuchter und nasser Lebensräume auf der Roten Liste sowie deren Gefährdungsgrad haben sich weiter erhöht. Viele Segetalarten sind aufgrund der weitgehend konsequent industrialisierten Agrarproduktion von den Produktionsflächen völlig verschwunden und in- zwischen vom Aussterben bedroht. Aber auch viele mäßig häufige Arten, die zwar noch in vielen Gebieten des Bundeslandes vorkom- men, haben dort in ihrer Vorkommensdichte erheb- lich abgenommen. Solche Arten wurden zwar nicht in die Rote Liste aufgenommen, werden aber in der Vorwarnliste (Kategorie V) geführt. Oft handelt es sich dabei um ehemals häufige Arten des Grünlands, die heute nur noch in Randbereichen von Wiesen oder Weiden vorkommen. Farne und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Spermatophyta) Datengrundlagen, Bemerkungen zu ausgewählten Arten Die Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen ist ein Expertenvotum, das auf den Vorinformationen der ‚Datenbank Farn- und Blütenpflanzen Sachsen-An- halt‘ aufbaut. In der Datenbank sind ehrenamt- lich erhobene Kartierungsdaten (insbesondere des Botanischen Vereins Sachsen-Anhalt e. V., anderer regionaler Vereinigungen und von Einzelpersonen), im behördlichen Auftrag erarbeitete Kartierungs- daten (z. B. Biotop- und Lebensraumtypenkartierung, FFH-Monitoring, WRRL-Monitoring, Artkartierungen) sowie Literaturauswertungen zusammengestellt. Die etwa 3 Millionen Datenbankeinträge (Stand Ende 2018) wurden den 744 Messtischblatt-Quad- ranten (entspricht dem Raster der digitalen topogra- phischen Karten 1 : 10.000) und jeweils vier Zeit- schnitten (bis 1949, 1950 –1991, 1992–2009 und ab 2010) zugeordnet. Für jede einzelne Art wurden die individuelle Datenqualität (Vollständigkeit und Aktu- alität der Kartierungsdaten, eventuelle Datenfehler), Angaben zur Anzahl bzw. zum Anteil von Nachweisen je MTBQ je Zeitschnitt und individuelle Gefährdungs- ursachen geprüft. Erstmals wurde als taxonomische Bezugsebene für eine Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen für Sachsen-Anhalt der Unterart-Status gewählt (nach- folgend wird im Text die niedrigste taxonomische Stufe als ‚Art‘ bezeichnet). Damit wurde dem neuen auf Bundes-Ebene vorgegebenen Maßstab für die Standardliste (Buttler et al. 2018) und die Rote Liste (Metzing et al. 2018) gefolgt. Als nomenklatorisches Bezugswerk wurde die Standardliste für Deutschland (Buttler et al. 2018) gewählt. Die Abkürzungen der Au- torennamen folgen Brummitt & Powell (1992). Um ein Taxon international eindeutig zuordnen zu können, wurde auch dann der Unterart-Status angegeben, wenn (derzeit) in Deutschland nur eine der Unterar- ten vorkommt. Grundsätzlich wurden bei der Rote-Liste-Be- wertung nur indigene und archäophytische Arten betrachtet. Die Rote Liste widerspiegelt nur in Ausnahme- fällen den innerartlichen Verlust indigener Populatio- nen und die Auswirkungen des Einkreuzens gebiets- fremder Populationen (einer genetischen Drift). Da in der praktischen Anwendung der Roten Listen nur das Vorhandensein oder Fehlen von Arten festgestellt werden kann, würde die Berücksichtigung von nicht morphologisch unterscheidbaren Parametern zu Missverständnissen führen, wie nach der Aufnahme der ‚Brockenfichte‘ (Picea abies) in die Roten Listen 1992 und 2004 oft geschehen. 151 Farn- und Blütenpflanzen Beispielsweise wurde der Glatthafer nicht aufgenom- men, obwohl die indigene Varietät Arrhenatherum elatius ssp. elatius var. bulbosus ausgestorben ist und im Gebiet nur noch neophytische Populationen A. e. e. var. elatius vorkommen. Eventuell im Hochharz oder dem Jemmeritzer Moor noch vorkommende autochthone Exemplare der Gemeinen Fichte (‚Bro- ckenfichte‘, Picea abies) können morphologisch nicht von Exemplaren unterschieden werden, bei denen Rekombinationen mit allochthonen Sippen vorliegen. Von der Weiß-Tanne (Abies alba) gibt es im äußersten Süden des Bundeslandes noch eine kleine autoch- thone Population. Da die Art aber vielfach gepflanzt wird und das Indigenat morphologisch nicht erkannt werden kann, wurde auf die Aufnahme in die Rote Liste verzichtet. Die Gewöhnliche Akelei (Aquilegia vulgaris) ist eine einheimische Art, die auch als Zierpflanze beliebt ist und durch züchterische Auslese und Kreuzung mit anderen Akelei-Arten in vielen Formen im Handel ist. Es ist davon auszugehen, dass viele autochtho- ne Populationen inzwischen durch Einkreuzung von Kultivaren genetisch verändert wurden. Die indigene Sichel-Luzerne (Medicago falcata) hybridisiert regel- mäßig mit der landwirtschaftlich genutzten Bastard- Luzerne (Medicago varia). Da solch eine genetische Drift anhand morphologischer Merkmale meist nicht nachgewiesen werden kann, wurde davon abgese- hen, die Gewöhnliche Akelei und die Sichel-Luzerne in die Rote Liste aufzunehmen. Manche Arten werden in ihren ursprünglichen Lebensräumen immer seltener oder verschwinden regional, während sie an anthropogen neu geschaf- fenen Wuchsorten zunehmen. Ob es sich dabei um gebietseigene Populationen handelt, kann morpho- logisch meist nicht eingeschätzt werden. Beispiels- weise werden Mähwiesen mit der Magerwiesen- Margerite (Leucanthemum vulgare) immer seltener, in Ansaaten an Straßenrändern wird sie aber häufig verwendet. Die potentiellen Wuchsorte der Fuchs- roten Borstenhirse (Setaria pumila), Äcker mit Hack- kulturen, Nutz-Gärten, dörfliche Ruderalstellen oder traditionell bewirtschaftete Weinberge, werden zwar immer seltener, hingegen findet sich die Art jetzt öfter an Straßenrändern. Auch bei solchen Arten mit morphologisch nicht unterscheidbaren Populationen wurden alle bekannten Vorkommen bei der Beurtei- lung der Gefährdung gleichwertig behandelt. Bei manchen indigenen bzw. archäophytischen Arten, die auf dem Gebiet von Sachsen-Anhalt aus- gestorben sind (bzw. waren), gibt es neue Vorkom- men dieser Arten – manchmal verwilderte Vorkom- men von Kultivaren. In der vorliegenden Liste wurde bei derzeit allgemein häufigen Arten (z. B. Glatthafer [Arrhenatherum elatius], Futter-Esparsette [Onobry- chis viciifolia]) sowie Arten, bei denen eine natürliche spontane Neubesiedlung nicht auszuschließen ist (z. B. Schriftfarn [Asplenium ceterach], Gewöhnliche Seekanne [Nymphoides peltata]) bei der Rote-Liste- Bewertung vom Indigenat dieser neuen Vorkommen ausgegangen. Ausgestorbene Arten, deren früheres Indigenat nicht sicher nachgewiesen werden kann, wurden als Neophyten angesehen und ebenfalls nicht in die Ro- te-Liste-Bewertung einbezogen (z. B. Frühlings-Enzian [Gentiana verna], Bibernell-Rose [Rosa spinosissima]). Ausgestorbene Arten, die nur unbeständige neo- phytische (z. B. Linaria arvensis) oder angesalbte (z. B. Betula nana, Muscari botryoides, Salix bicolor, Trifo- lium ochroleucon) Vorkommen haben, werden als ‚ausgestorben‘ eingestuft. Ähnlich wird bei vom Aussterben bedrohten Arten verfahren, wo in Sachsen-Anhalt noch einige indigene bzw. archäophytische Vorkommen existie- ren, darüber hinaus aber Saat- und/oder Pflanzgut Verwendung findet. Werden nur wenige beständige neophytische Vorkommen aufgebaut (z. B. Agro- stemma githago, Polemonium caeruleum), erfolgt (nur) die Einbeziehung indigener Populationen in die Rote-Liste-Bewertung. Bei vom Aussterben bedroh- ten indigenen Populationen von Arten, die gleichzei- tig sehr häufig kultiviert werden und deren Kultivare sich auch effektiv vermehren und häufig anzutreffen sind (z. B. Abies alba, Taxus baccata), wird bei der Rote-Liste-Bewertung von indigenen Vorkommen ausgegangen. Bei Arten apomiktischer Artengruppen (z. B. Ra- nunculus auricomus agg., Taraxacum sect. Ruderalia) sind meist nicht genügend Kenntnisse vorhanden, um eine Gefährdung einzuschätzen. Hier wurde im Zweifelsfall auf die Vergabe der Kategorie ‚D‘ ver- zichtet. Abb. 1: Einer der letzten Fundorte der Sumpf-Engelwurz (Angelica palustris) in Sachsen-Anhalt befindet sich am Quellbusch bei Radegast (Foto: A. Krumbiegel, 2017). Abb. 2: Vom Echten Sellerie (Apium graveolens) finden sich auf der Salzstelle Hecklingen aktuell noch größere Be- stände (Foto: A. Krumbiegel, 2015). Abb. 3: Die Immergrüne Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi) ist eine seltene Art in den großen Tälern des Nordharz-Randes. Sie bildet mattenartige Bestände, die in den Felsritzen – wie hier an den Klippen im Steinbachtal – verwurzelt sind (Foto: A. Korschefsky, 13.05.2016). Abb. 4: Schwarzstieliger Streifenfarn (Asplenium adiantum-nigrum) im Bolmketal bei Wernigerode am Nordharz- rand (Foto: A. Korschefsky, 04.06.2018). Abb. 5: Die Hirschzunge (Asplenium scolopendrium) ist ein seltener Farn kühlfeuchter Schluchten. Es gibt Vorkommen in den Tälern des Harzes und in Karst-Formationen des Südharzes, wie hier im NSG „Mooskammer“ (Foto: A. Korschefsky, 28.10.2012). Abb. 6: Das Dolden-Winterlieb (Chimaphila umbellata) in einem lichten Kiefern-Pionierwald auf nährstoffarmen Böden am Li- bellenweiher in der Bergbaufolgelandschaft am Bergwitzsee (Foto: A. Korschefsky, 03.07.2015). 152 Farn- und Blütenpflanzen 1 2 3 4 5 6 153
Origins: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2020-08-31
Modified: 2020-08-31
Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31
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