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Kapitel 19 Flusskrebse Rote Listen Sachsen-Anhalt 2020

Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 393–401 19 Bearbeitet von Otfried Wüstemann, Wolfgang Wendt und Kamilla Kubaczynski (3. Fassung, Stand: September 2019) Einführung Die Flusskrebse (Decapoda: Astacidae) gehören zu der großen Crustaceen-Ordnung Decapoda (Zehn- fusskrebse), die weltweit mit etwa 10.000 Arten verbreitet ist (Gruner et al. 1993). Namensgebend ist die Tatsache, dass sie fünf deutlich sichtbare Rumpf- beinpaare besitzen. Flusskrebse kommen mit Ausnah- me der Antarktis, des afrikanischen Festlandes, dem nördlichen Zentralasien und dem Indischen Subkon- tinent rezent auf allen Kontinenten vor (Hobbs, 1988). Ursprünglich waren die Flusskrebse Meeresbewohner, die aber bereits in der Trias (vor 245 bis 200 Millio- nen Jahren) das Süßwasser eroberten (Scholz 2002). Innerhalb dieser artenreichen Gruppe gehören die in Deutschland bodenständigen süßwasserbewohnen- den Flusskrebse zur Familie der Astacidae (Albrecht 1982), deren Vertreter in Europa und im westlichen Nordamerika leben. Flusskrebse sind die größten mobilen Evertebraten in unseren Gewässern (Füreder 2009). Sie haben im Gegensatz zu vielen anderen Decapoden keine frei schwimmenden Larven mehr, sondern entwickeln sich schon im Ei zum fast fertigen Krebs. Krebse der Familie Astacidae leben bevorzugt in langsam fließenden Flüssen und Bächen oder in Seen, können aber auch durch den Menschen ange- legte Gewässer, wie Gräben, Teiche, Talsperren und sonstige Sekundärgewässer (wassergefüllte Steinbru- che, Kies-, Lehm- und Sandgruben) bei entsprechen- der Wasserqualität und Biotopstruktur bewohnen. Datengrundlagen und Bemerkungen zu ausge- wählten Arten In Deutschland kommen drei autochthone Fluss- krebsarten vor, der Edelkrebs, Astacus astacus (Linnaeus, 1758), der Steinkrebs, Austropotamobius torrentium (Schrank, 1803) und der Dohlenkrebs, Austropotamobius pallipes (Lereboullet, 1858) (Zim- mermann 2011). Der Steinkrebs und der Dohlenkrebs bewohnen ausschließlich Gewässer Süddeutsch- lands. Als nördlichstes Vorkommen des Steinkrebses nennen Zimmermann & Haase (1986) Bäche aus dem Einzugsbereich des Mains in Südthüringen. Daher ist der Edelkrebs die einzige autochthone Krebsart in Sachsen-Anhalt. Neben den drei autochthonen Arten gibt es heute in Deutschland mehrere nichtheimische Arten, die sich in den Gewässern etablieren konnten. In Sachsen-Anhalt wurden bisher vier Fremdarten nachgewiesenen, von denen drei invasiv sind. Flusskrebse (Astacidae) Die noch vorhandenen Restbestände des in Sachsen- Anhalt heimischen Edelkrebses sind im Verlauf der letz- ten 15 Jahre stark rückläufig, was vor allem der weite- ren Ausbreitung des Kamberkrebses zuzuschreiben ist. Aus zumeist wirtschaftlichen Gründen, aber auch aus Unüberlegtheit wurden der Kamberkrebs, Orconectes limosus (Rafinesque 1817), der Galizische Sumpfkrebs, Astacus leptodactylus (Eschholz 1823), der Signalkrebs, Pacifastacus leniusculus (Dana 1852), der Kaliko-Krebs Orconectes immunis (Hagen 1870), der Rote Amerika- nische Sumpfkrebs, Procambarus clarkii (Girard 1852) und der Marmorkrebs Procambarus fallax (Hagen 1870) f. virginalis in die Gewässer Deutschlands ein- geschleppt. Während der Kamberkrebs als Vertreter der Gattung Orconectes schon 1890 aus Nordamerika nach Deutschland eingeführt wurde, gelangten die anderen vorgenannten Arten erst später zu uns. Die heutigen Bestände des Kamberkrebses gehen zum überwiegenden Teil auf einen Einbürgerungsversuch des bekannten Fischzüchters Max von dem Borne zurück, der etwa 100 Exemplare dieser Krebsart in Teiche bei Berneuchen, etwa 50 km nördlich von Frankfurt/Oder aussetzte. Bereits 50 Jahre nach der Einbürgerung besiedelten ihre Nachkommen schon weite Teile Deutschlands. Der gegen Umwelteinflüsse und Krankheiten sehr widerstandsfähige und zudem wanderfreudige Kamberkrebs erreicht in Fließgewäs- sern Ausbreitungsgeschwindigkeiten von jährlich bis zu 5 km (Pieplow 1938, Schweng, 1968). Eine zusätz- liche Verbreitung erfährt dieser Krebs bis heute durch illegale Besatzmaßnahmen, insbesondere im Rahmen der Angelfischerei (als „Köderkrebs“), aber auch durch Aquarianer und Gartenteichbesitzer. In Sachsen-An- halt ist er längst der häufigste Flusskrebs und bildet in vielen Fließ- und Standgewässern stabile Bestände. Der ebenfalls aus Nordamerika (Westen der USA) stammende Signalkrebs gelangte 1960 über Schwe- den nach Mitteleuropa. Inzwischen ist er durch Be- satz in vielen Landesteilen Deutschlands heimisch geworden und bildet stabile Populationen aus. Der Signalkrebs kann sich in kurzer Zeit expansiv aus- breiten. Ein Hinweis, dass die Art in der Mulde bei Dessau vorkommt, ist nicht belegt (Wendt 2016). Auch ein Hinweis auf ein Vorkommen im Ohrekreis konnte nach Überprüfung im Jahr 2003 nicht bestä- tigt werden (Wüstemann & Wendt 2004). Erst im Spät- sommer 2019 wurde die invasive Art in der Ohre und im Bauerngraben (Ohrekreis) sicher nachgewiesen. Anlass der Nachsuche waren Krebsscheren in einer Fischotterlosung. Die Herkunft der Tiere und die aktu- elle Bestandsgröße sind noch unklar. Der Marmorkrebs, der über die Aquaristik den Weg nach Deutschland und in die Freilandgewäs- 393 Flusskrebse ser gefunden hat, stammt wahrscheinlich aus dem Süden der USA. Als weltweit einziger sich partheno- genetisch (Jungfernzeugung) vermehrender Zehn- fußkrebs besitzt der Marmorkrebs ein gewaltiges Vermehrungs- und Ausbreitungspotential. Für Sachsen-Anhalt wurde diese Krebsart erstmals in einem Dorfteich im Saalekreis nachgewiesen, als dort Dutzende Krebse das Gewässer durch Landgänge ver- ließen (Wendt 2010). Trotz mehrjähriger Bemühungen konnte der Bestand bislang nicht gänzlich ausge- merzt werden (Wendt 2013, 2016). Der letzte siche- re Nachweis stammt aus dem Jahr 2019. Darüber hinaus konnten 2019 neue Vorkommen des Marmor- krebses in zwei weiteren Stillgewässern im Saalekreis belegt werden. Eine weitere Meldung über einen Einzelfunde der Art bei Magdeburg konnte nicht be- stätigt werden, da diesem kein plausibler Fundort zuzuordnen war. Um die Ausbreitung dieser invasiven Art in Sachsen-Anhalt zu verhindern, ist eine zeitnahe Umsetzung der auf Basis des § 40 BNatSchG entwi- ckelten Managementmaßnahmen erforderlich. Der aus den Gewässern im Einzugsbereich des Kaspischen und Schwarzen Meers stammende Gali- zische Sumpfkrebs wurde gegen Ende des 19. Jahr- hunderts zielgerichtet in die durch die Krebspest entvölkerten Gewässer Ostdeutschlands eingesetzt. Fälschlicherweise nahm man seinerzeit an, dass die- se Krebsart gegen die Krebspest immun sei. Einige Einbürgerungsversuche verliefen trotz dieser Fehl- einschätzung erfolgreich. Im Verbreitungsatlas zur Fischfauna Sachsen-Anhalts von 1997 (Kammerad et all. 1997) werden sechs Vorkommen genannt. Es ist nicht bekannt, ob außer dem 2009 bestätigten Alt- vorkommen aus der Spetze in Grauingen heute noch weitere Vorkommen in Sachsen-Anhalt existieren. In der Neuauflage des Verbreitungsatlas zu Fischarten und Fischgewässer in Sachsen-Anhalt (Kammerad et al. 2012) sind die zehnfüßigen Krebse, trotzdem sie dem Fischereirecht unterliegen, nicht mehr enthalten. Aufgrund des bislang unkontrollierbaren Handels mit fremdländischen Krebsarten und dem geringen Wissen über die Folgen von Freilandansiedlungen, wächst die Gefahr, dass weitere invasive Krebsarten in die Gewässer Sachsen-Anhalts eingeschleppt werden. Der Edelkrebs bewohnt als einzige autochthone Krebsart Sachsen-Anhalts vorzugsweise Gewässer des Tieflandes sowie der unteren und mittleren Ge- birgslagen. Entscheidend für das Vorkommen der Art ist, dass die Durchschnittstemperatur des Gewässers im Sommer über 12 °C (besser 15 °C) beträgt, da sich die Tiere ansonsten nicht fortpflanzen und erfolgreich häuten können. Wassertemperaturen über 25 °C kann der Edelkrebs nur kurzzeitig überleben (Hager 1996). Dagegen stellt er weit weniger Ansprüche an die Wasserqualität seines Wohngewässers als allgemein angenommen und ist erstaunlich unempfindlich ge- genüber organischer Belastung, reagiert jedoch emp- findlich auf den Eintrag von Pestiziden und anderen Umweltgiften. Typische Edelkrebsgewässer besitzen eine strukturreiche Gewässersohle aus festem Subs- trat (z. B. Mergel, Lehm, Ton, Torf, Kies, Flussschotter u. Steinauflage) und eine große Uferzone mit vielen Versteckmöglichkeiten wie Wurzeln, großen Steinen oder Totholz. In Gewässern mit Abbruchufern gräbt sich der Edelkrebs gern Wohnhöhlen. Edelkrebse waren mit großer Wahrscheinlichkeit früher in allen geeigneten Gewässern Sachsen-An- halts und damit nahezu flächendeckend verbreitet. Die Einwanderung des Edelkrebses in das Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts dürfte im Wesentlichen in postglazialer Zeit aus dem östlichen mediterranen Raum erfolgt sein. Er verdrängte dabei wahrschein- lich die kleineren Arten Stein- und Dohlenkrebs (Hager 1996). Der Edelkrebs bevölkerte noch im 18. Jahrhun- dert in heute unvorstellbaren Mengen die Gewässer unseres Landes. Nach Bauch (1958) war der Edelkrebs vermutlich noch bis 1882 in der Elbe heimisch. Über Jahrhunderte gehörte der Krebsfang zu den übli- chen Formen der Fischerei, regional sogar mit einer hohen ökonomischen Bedeutung (Wüstemann 2001, 2017). Erst der gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus Amerika, vermutlich über den Import amerikanischer Kamberkrebse eingeschleppte Oomycet Aphanomy- ces astaci, wirkte sich verheerend auf die Edelkrebs- bestände aus. Als Erreger der sogenannten Krebspest zählt der mehr mit Algen als mit Pilzen verwandte A. astaci zu den weltweit 100 invasivsten Arten (Schrimpf & Schulz 2014). Die tödliche Infektionskrankheit ver- nichtete in mehreren dramatischen Seuchenzügen quer durch Europa tausende Krebsbestände. Heute existieren auch in Sachsen-Anhalt nur noch wenige Populationen in zumeist kleinen und isoliert gelege- nen Fließ- und Standgewässern (Wüstemann 2017). Die schon im vorigen Jahrhundert einsetzende Abwas- serbelastung, der Gewässerausbau und Gewässer- unterhaltungsmaßnahmen, taten ihr Übriges zum Bestandsrückgang. Trotz inzwischen verbesserter Wasserqualität und ökologischer Vorgaben für den Gewässeraus- bau und die Unterhaltung der Gewässer, hält der Rückgang der Bestände seit den 90er Jahren unver- mindert an. Insbesondere dem sich immer weiter Abb. 1: Der Edelkrebs (Astacus astacus), die einzige autochthone Krebsart in Sachsen-Anhalt, ist vom Aussterben bedroht (Foto: S. Ellermann). Abb. 2: Der Kamberkrebs (Orconectes limosus) ist in Sachsen-Anhalt fast flächendeckend verbreitet. Als Ubiquist ist er in der Lage verschie- denste Wasserlebensräume zu besiedeln. Er ist Überträger der Krebstpest und gefährdet dadurch die noch verbliebenen Edelkrebsbestände in Sachsen-Anhalt (Foto: K. Kubaczynski). 394 Flusskrebse 1 2 395

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Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU

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Language: Deutsch

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Issued: 2020-08-31

Modified: 2020-08-31

Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31

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