Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 505–511 31 Bearbeitet von Michael Wallaschek unter Mitarbeit von Daniel Elias, Björn Schäfer, Martin Schädler und Roland Schweigert (3. Fassung, Stand: Dezember 2018) Einführung Fossilien von Langfühlerschrecken (Ensifera) fanden sich bereits aus dem Oberkarbon, von Kurzfühler- schrecken (Caelifera) erst aus der Unteren Trias. Für das Gebiet Sachsen-Anhalts liegen Grillen- und Dornschreckenreste aus den mitteleozänen Ablage- rungen des Geiseltales sowie Laubheuschrecken- und Grilleninklusen im oberoligozänen bis untermiozänen Bitterfelder Bernstein vor (Wallaschek 2003). Man kennt ca. 20.000 rezente Heuschreckenar- ten (Orthoptera), darunter ca. 9.000 Ensifera und ca. 11.000 Caelifera, auf der Erde (Günther 2000). In ihrer Gesamtartenliste für Deutschland führen Maas et al. (2011) 85 Heuschreckenarten (Ensifera: 40, Caelife- ra: 45). Sie besitzen meist als Primärkonsumenten, ein Teil als Sekundärkonsumenten Bedeutung in ter- restrischen Ökosystemen. Im Grasland können die Tiere mit den sprichwörtlichen Sprungbeinen und den teils lautstarken Zirpgesängen zu den dominan- ten Wirbellosengruppen gehören. In extrem erschei- nender Weise tritt uns dies in Form von Schwärmen der Wanderheuschreckenarten, von denen es welt- weit etwa zehn gibt (Beier 1955), gegenüber. Das bedeutet jedoch in erster Linie für sesshafte Acker- bauern in den betroffenen Ländern, wie auch früher in Mitteldeutschland (Vater 1994), Verheerung der Saaten, Teuerung und Hungersnöte. Nomaden können Wanderheuschrecken hingegen auch heute noch recht effektiv als protein- und vitaminreiche Nahrung nutzen (Schimitschek 1968). Obwohl uns die Europäische Wanderheuschrecke in Folge der meliorativen Vernichtung ihrer südost- europäischen Brutplätze (Weidner 1938) schon lange nicht mehr heimgesucht hat, kennen auch wir noch indigene Heuschreckenarten, die zuweilen als Pflan- zenschädling (Maulwurfsgrille, Gewächshausschre- cke) oder als Lästling, Vorrats-, Material- und Gesund- heitsschädling (Heimchen) von sich Reden machen (Steinbrink 1989, Weidner 1993). Aufgrund ihrer bioindikatorischen Bedeutung hat die Nutzung der Heuschrecken in der Landschaftspla- nung einen immensen Aufschwung genommen. Wich- tig ist hierbei, dass inzwischen so gute Kenntnisse über die Verbreitung und Vergesellschaftung der Heuschre- cken vorliegen, gerade auch in Sachsen-Anhalt (Wal- laschek et al. 2004, Wallaschek 2013, 2016), dass für die Bewertung von Lebensräumen oder Eingriffen neben der Roten Liste und autökologischen Erkenntnissen mit Heuschrecken (Orthoptera) Erfolg auch zoogeographische und zoozönologische Fakten herangezogen werden können. Hierbei spielt z. B. die Lagebeziehung von Beständen zum Arealrand oder zu Verbreitungslücken, die Expansion, Stagnation oder Regression der Arealgrenze, die regionale Selten- heit, die Zugehörigkeit von Beständen zu Verbreitungs- schwerpunkten oder die Vagilität von Arten bzw. die Zugehörigkeit zu charakteristischen Artengruppen und deren Vollständigkeitsgrad eine Rolle. Nicht zu unter- schätzen ist auch die Wirkung der Heuschrecken auf das Landschaftsbild. Datengrundlagen In Sachsen-Anhalt wurden bislang 62 Heuschre- ckenarten (28 Ensifera, 34 Caelifera) festgestellt (Wallaschek et al. 2004, Wallaschek 2013, 2016). Diese Arbeiten enthalten die aktuelle Checkliste sowie die Liste der faunistischen Primärliteratur und wichtiger Beiträge der Sekundärliteratur über die Heuschrecken in Sachsen-Anhalt. Die Systematik und Nomenklatur der Heuschrecken richtet sich im Folgenden nach Coray & Lehmann (1998). Hinsichtlich der deutschen Namen folgen wir Detzel (1995). Für die Synonyma wird auf Zacher (1917) und Harz (1957, 1960, 1969, 1975) verwiesen. Die letzten vier Bücher sowie Bell- mann (1993), Fischer et al. (2016) und Götz (1965) sind hilfreiche Bestimmungswerke. Der enorme faunistische Erkenntniszuwachs seit Erscheinen der ersten Roten Liste der Heuschrecken des Landes Sachsen-Anhalt geht aus dem Vergleich der Gitternetzkarten in Wallaschek et al. (2002, 2004) und Wallaschek (2013) hervor. Dennoch existieren weniger gut bearbeitete Regionen. Das ist an den Karten der sehr weit verbreiteten Arten Metrioptera roeselii (Ha- genbach, 1822), Chorthippus parallelus (Zetterstedt, 1821) und C. biguttulus (L., 1758) erkennbar. Insgesamt stützt sich die vorliegende Rote Liste auf ein inzwischen recht fundiertes Material, auch wenn die Einstufung von Arten in die Gefährdungskategorien nach wie vor den Charakter einer Konvention zwischen den Mitarbeitern trägt. Bemerkungen zu ausgewählten Arten Gegenüber der zweiten Fassung der Roten Liste der Heuschrecken Sachsen-Anhalts sind nur wenige Ver- änderungen erforderlich (Wallaschek 2004). Bisher galt Calliptamus italicus in Sachsen-Anhalt als „ausgestorben“. Jedoch konnte L. Huth, Bernburg, im Jahr 2013 ein Weibchen der Art unweit von Löben an der Schwarzen Elster nachweisen. Eine weitere Nachsu- che blieb erfolglos, sodass es sich wohl um ein einzel- nes verdriftetes Tier gehandelt hat. Im Jahr 2016 gelang 505 Heuschrecken 1 2 Abb 1: Nadelholz-Säbelschrecke (Barbitistes constrictus): 03.08.2005, Leinawald bei Altenburg/Thüringen (Foto: D. Klaus). Abb. 2: Blauflüglige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans). Diese streng an vegetationsarme Pionierstandorte gebundene Art lebt in Sachsen-Anhalt an ihrem nordwestlichen Arealrand und profitierte in den 1990er Jahren zunächst stark von der Zunahme von Bergbaufolgelandschaften sowie Industrie- und Siedlungsbrachen. Inzwischen befindet sich die Art infolge von Rekultivierungs- und Sukzessionsprozessen stark auf dem Rückzug (Foto: M. Schädler). 506 Heuschrecken 3 4 5 Abb. 3: Zwerggrashüpfer (Stenobothrus crassipes). Mit dem Fund der Art auf Trockenrasenstandorten des östlichen Huy (nördlich Halber- stadt) wurde die Art erst zum zweiten Mal überhaupt in Deutschland nachgewiesen. Ein weiteres Vorkommen befindet sich im Kyff- häusergebiet und reicht nur randlich in das Gebiet Sachsen-Anhalts hinein. Es handelt sich dabei um nordwestliche Exklaven der sonst schwerpunktmäßig pannonisch verbreiteten Art (Foto: M. Schädler). Abb. 4: Waldgrille (Nemobius sylvestris): 28.07.2009, Zeitzer Forst/Sach- sen-Anhalt (Foto: D. Klaus). Abb. 5: Maulswurfsgrille (Gryllotalpa gryllotalpa): Juni 1995, Gartenanlage in Lucka/Thüringen (Foto: D. Klaus). 507
Types:
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2020-08-31
Modified: 2020-08-31
Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31
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