Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 705–709 56 Bearbeitet von Sebastian Schornack, Ringo Dietze und Manfred Jung * unter Mitarbeit von Wolfgang Bäse, Holger Breitbarth, Klaus Graser, Wolfgang Gruschwitz, Manfred Jung, Torsten Pietsch, Andreas Rössler, And- reas Schöne, Peter Strobl, Günther Schumann, Gerhard und Richard Wahn und Thomas Wolsch (2. Fassung, Stand: August 2019) * Aktualisierung Einführung Die allgemeine Bekanntheit der Schwarzkäfer außer- halb der Spezialistenkreise beruht besonders auf der Tatsache, dass einige Vertreter gefürchtete Vorrat- schädlinge sind (Tenebrio molitor, Tribolium-Arten). Obwohl meist düster gefärbt, sind nicht alle Schwarz- käfer schwarz, vielmehr enthält die Gruppe eine Vielzahl Arten uneinheitlicher Form und Färbung. Es scheint, als ob in dieser Käferfamilie einige „Doppel- gänger“ anderer nicht verwandter Käfergruppen versammelt sind. Die Familie Tenebrionidae ist mit etwa 20.000 Arten die fünftgrößte Käferfamilie weltweit. Der Schwerpunkt ihrer Verbreitung liegt in trockeneren, wärmeren Gebieten. Für Deutschland sind rezent 89 Arten registriert, in Sachsen-Anhalt kommen 67 Ar- ten vor. Dabei sind die beiden Arten Myrmechixenus vaporariorum Guérin-Méneville und M. subterraneus Chevrolat erst kürzlich aus der Familie Colydiidae (Rin- denkäfer) in die Familie Tenebrionidae eingegliedert worden (Schawaller 1998). Die Alleculidae (Blüten- mulmkäfer) sowie die beiden Arten der Gattung Lag- ria (Lagriidae/Wollhaarkäfer) gehören nach neuester Nomenklatur ebenfalls zu den Schwarzkäfern. Typische Bestimmungs-Merkmale sind die durch die vorgezogenen Wangen nierenförmigen Augen, das bei einigen Arten vorhandene Mukro (eine zipfel- förmige Verlängerung der Flügeldecken an der Naht, z.B. Blaps lethifera, Stenomax aeneus). Die Fühler sind relativ dick und perlschnurartig. Zahlreiche Arten sind durch Verwachsung der Elytren flugunfähig. Schwarzkäfer sind meist ausgesprochene Spezialis- ten. Es werden zahlreiche ökologische Nischen be- siedelt. Die Käfer leben im Holz (Corticeus fasciatus), Pilzen (Eledona agricola, Diaperis boleti, Bolitophagus reticulatus, Platydema violaceum), sind Bewohner von Ameisennestern (Myrmechixenus subterraneus) oder von Grassteppen (Melanimon tibiale, Pedinus femoralis, Opatrum sabulosum), salzbeeinflussten Dünen (Phaleria cadaverina, Phylan gibbus), leben in faulenden Pflanzenstoffen (Alphitophagus bifasciatus, Pentaphyllus testaceus) und in trockenen, stärkerei- Schwarzkäfer (Coleoptera: Tenebrionidae) chen Substraten (meist synanthrop, Lagerschädlinge, s.u.). Einige Arten sind aufgrund ihrer engen Habitat- bindung selten bzw. nur sehr selten nachweisbar (Tenebrio opacus, Platydema dejeanii, Corticeus sp.). Larven und Imagines sind meist Allesfresser, einige Arten leben räuberisch, andere sind myceto- phag oder phytodetritophag. Zu den Vorratsschäd- lingen zählen sowohl heimische Vertreter als auch Tiere anderer Faunenkreise, die mit dem Handel eingeschleppt worden sind (Tribolium destructor, Latheticus oryzae, Gnatocerus cornutus) und sich zeit- weise oder dauerhaft etabliert haben. In ihrer natür- lichen Umgebung sind die Tiere selten und hier meist unter trockener Borke im Holzmehl zu finden (z.B. Tribolium castaneum, T. confusum). Da sie aufgrund ihrer Lebensweise bei Bedrohung der natürlichen Lebensräume die Rückzugsmöglichkeit der Vorrats- lager haben, kann eine landesweite Gefährdung nicht eingeschätzt werden, auch werden als Vorratsschäd- linge geltende Arten generell nicht in Rote Listen aufgenommen. Folgende Arten werden deshalb nicht berücksichtigt: Tribolium madens, T. castaneum, T. de- structor, T. confusum, Gnatocerus cornutus, Latheticus oryzae sowie Tenebrio molitor. Der anscheinend einzige rezente Fund von G. cor- nutus nach 1950 erfolgte am 31.3.1979 in Athenstedt bei Halberstadt, hier wurde totes Exemplar in einem frischen Brötchen aus der ortsansässigen Bäckerei gefunden. L. oryzae, der Indische Reiskäfer, ist mittler- weile aus fast allen Regionen Deutschlands gemeldet, was auf eine dauerhafte Einbürgerung schließen lässt. In der Lichtfalle des Autors in Athenstedt erscheinen seit dem Jahre 2007 ziemlich regelmäßig Käfer, bisher insgesamt fast 50 Exemplare, sobald die Temperaturen tagsüber mindestens 28 Grad Celsius betragen und auch nachts nicht unter 20 Grad fallen. Anscheinend werden solch hohe Temperaturen benötigt, damit die Käfer ihre geschützten Bruthabitate verlassen. Interessant erscheint der Umstand, dass G. cor- nutus sowie drei der vier zu den Vorratsschädlingen zählenden Tribolium-Arten (außer T. castaneum) in Sachsen-Anhalt (und teils auch in vielen anderen deutschen Regionen) in den letzten dreißig bis vier- zig Jahren nicht nachgewiesen wurden. Hier scheint die Rückzugsmöglichkeit in Vorratslager nicht mehr zu greifen, da sich durch Wegfall vieler potenziel- ler Lagerstätten für Mehl und andere stärkehaltige Produkte und eine stark verbesserte Lagerhygiene die Existenzgrundlage dieser Arten drastisch verschlech- tert. Es ist also durchaus nicht abwegig, dass sie Ihren Status als Vorratsschädlinge zumindest in Deutsch- land verlieren und zukünftig als verschollen oder aus- gestorben gelten werden. 705 Schwarzkäfer Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Schwarzkäfer Sachsen-Anhalts. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Gefährdungskategorie R 1 2 - 8 6 - 13,3 10,0 0 7 11,7 Rote ListeGesamt 30 50,060 Sonstige GesamtGesamt 3 5,060 3 8 13,3 Tab. 2: Übersicht zu den sonstigen Kategorien. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) G - - Kategorien D 1 1,7 12 34 V 2 3,3 Abb. 1: Blaps lethifera lebt sowohl synantrop als auch im Freiland und ist doch Veränderungen im Siedlungs- und Ackerbau stark rückläufig. (Foto: F. Köhler). Abb. 2: Laena viennensis als Präglazialrelikt der Ostalpen und des Balkans wurde im Fallstein bei Osterwieck als neue Art für Deutschland nachgewiesen (Foto: F. Köhler). Abb. 3: Mycetochara humeralis entwickelt sich in morschem Laubholz und ist bei uns nur sehr selten anzutreffen (Foto: P. Bornand). Abb. 4: Omophlus pubescens ernährt sich als Larve, wie die anderen Arten der Gattung, subterran von Pflanzenwurzeln. Die Imagines sind auf Blüten zu finden (Foto: P. Bornand). Datengrundlagen Aus Sachsen-Anhalt sind durch historische Daten (besonders Rapp 1934, Horion 1956, Borchert 1951) zahlreiche Arten belegt, wobei sowohl Horion als auch Borchert teilweise auf die Daten von Rapp verweisen. Schwarzkäfer wurden zwar oft als Bei- oder Zu- fallsfänge gesammelt, jedoch liegen im Vergleich zu anderen gut bearbeiteten Artengruppen (Laufkäfer, Bockkäfer) vergleichsweise weniger gesicherte rezen- 706 te Datensätze vor. In Museen mögen zusätzliche Fun- de einer Indentitätsprüfung harren. Bisher wurden nur die Daten aus dem Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Dessau (MNVD) berücksichtigt. Erst in neuerer Zeit werden Tenebrionidae auch bei faunistisch-ökologischen Gutachten erfasst (z.B. Bussler & Schmidl 1997, Sprick 2000, Dietze & Schornack 2002). Seit dem Erscheinen der 1. Fassung im Jahre 2004 wurden mit Laena viennensis im Fallstein bei Osterwieck durch Weigel (Weigel & Jung 2014) und Schwarzkäfer Tab. 3: Änderungen in der Anzahl der Einstufungen in die Gefährdungskategorien im Vergleich der Roten Listen der Schwarzkäfer Sachsen- Anhalts aus den Jahren 2004 und 2020. Gefährdungskategorie 0 – Ausgestorben oder verschollen R – Extrem seltene Arten mit geographischer Restriktion 1 – Vom Aussterben bedroht 2 – Stark gefährdet 3 – Gefährdet Gesamt Rote Liste 2004 (AZ = 39) (absolut) (%) 5 12,8 ---- 2 3 7 175,1 7,7 17,9 43,58 6 8 3013,3 10,0 13,3 50,0 Neomida haemorrhoidalis bei Wittenberg durch Bäse zwei Arten neu für Sachsen-Anhalt nachgewiesen, erstere zugleich als Neufund für Deutschland. Dabei ist die Herkunft von L. viennensis, einem Präglazialre- likt, außerhalb ihres angestammten Verbreitungsge- bietes vom östlichen Österreich bis zu den Karpaten bisher nicht erklärbar. Grundlage für die Einschätzung der Gefährdung der Tenebrionidae in Sachsen-Anhalt war neben der Auswertung der faunistischen Arbeit von Bor- chert (1951) und des online-Verzeichnisses der Käfer Deutschlands vor allem die Zusammenfassung zahl- reicher Funddaten. Insgesamt wurden etwa 2.900 Datensätze berücksichtigt. Die Nomenklatur richtet sich nach Bleich et al. (2018). Bemerkungen zu ausgewählten Arten, Gefährdungs- ursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Die Hauptgefährdung für Schwarzkäfer ist die Beein- flussung oder das Verschwinden ihrer Habitate. Arten der sandigen, trockenen Habitate (z.B. Blaps lethifera, Pedinus femoralis) sind durch Nährstoffein- trag (Eutrophierung) in ihren Vorkommen bedroht. Außerdem besteht in vielen Fällen die Notwendigkeit der Sukzessionsverhinderung (z.B. Binnendünen im Gebiet der Mittelelbe). Holzpilz- (z.B. Platydema violaceum, Platydema dejeanii) und Holzbewohner (z.B. Corticeus fasciatus, Art (wiss.) Allecula rhenana Bach, 1856 Blaps lethifera Marsham, 1802 Blaps mortisaga (Linnaeus, 1758) Blaps mucronata Latreille, 1804 Corticeus bicoloroides (Roubal, 1933) Corticeus fasciatus Fabricius, 1790 Corticeus fraxini Kugler, 1794 Corticeus linearis Fabricius, 1790 Corticeus longulus Gyllenhal, 1827 Corticeus pini Panzer, 1799 Diaclina fagi (Panzer, 1799) Rote Liste 2020 (AZ = 60) (absolut) (%) 8 11,7 Tenebrio opacus, Neatus picipes) sind Besiedler von in- takten Totholzhabitaten, deren Struktur und Qualität durch Holzeinschlag, Beräumung der Wälder, Nadel- holz-Forstungen negativ beeinflusst werden (detail- lierte Angaben hierzu in Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 2003). Im Einzelnen bedeutet der Wegfall spezifischer Nischen (z.B. Tenebrio opacus: alte Eichen mit größe- ren Mulmhöhlen) einen Verlust der Nahrungsgrund- lage. Als Schutzmaßnahme gilt deshalb besonders der Erhalt dieser Habitate. Zusätzlich ist eine genau- ere, flächendeckende Erfassung der Schwarzkäfer, z. B. im Rahmen von Gutachten besonders in Wald- gebieten und auf Trockenrasen notwendig, um eine Abschätzung der Gefährdungstendenzen möglich zu machen. Deshalb soll die vorliegende Klassifizierung als Anreiz angesehen werden, weitere Daten einzu- bringen und kritisch zu diskutieren. Danksagung Dank gebührt insbesondere Herrn Dr. Peer Schnitter vom Landesamt für Umweltschutz in Halle, den Fach- kollegen der Planungsbüros Myotis (Halle/S.) und ÖKOTOP/Halle für die Überlassung von Fallenmaterial sowie den Herren Wolfgang Bäse (Wittenberg) und Andreas Weigel (Wernburg) für die Übermittlung von Funddaten. Kat. 0 1 3 0 2 2 0 2 2 0 V Bem. H, 1951 01) S S, 1951 01) H H, 1951 01) H H H, 1951 01) 707
Types:
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2020-08-31
Modified: 2020-08-31
Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31
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