Description: Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 727–736 59 Bockkäfer (Coleoptera: Cerambycidae) Bearbeitet von Volker Neumann, Werner Malchau, Andreas Rössler und Olaf Blochwitz (3. Fassung, Stand: Januar 2019)publizierten Arbeiten von Dammer (2017), Lange (2017) und Malchau (2018a, 2018b) mit herangezogen. Die Nomenklatur der Arten sowie ihre deutsche Bezeichnung folgt Klausnitzer et al. (2016). EinführungBemerkungen zu ausgewählten Arten Für Deutschland führen Köhler & Klausnitzer (1998) 192 Bockkäferarten auf, wovon 20 der Bestätigung bedürfen. Zur indigenen Fauna Sachsen-Anhalts gehören 137 Arten – einschließlich von 22 als alloch- thon eingestuften erhöht sich die Artenzahl auf 159 (Neumann & Malchau 2016). Die Zahl der indigenen ist jedoch vermutlich höher einzuschätzen. In dem Versuch, den tatsächlichen Artenbestand von den faunenfremden Elementen zu trennen, ist die Subjek- tivität in der Wertigkeit der angegebenen Nachweise als Fehlerquelle mit enthalten. Dies betrifft die Ein- schätzung und Wertung z. B. von Chlorophorus varius, Corymbia (Leptura) fulva oder Saphanus piceus, wo andere Autoren durchaus unterschiedliche Ansichten vertreten (s. z. B. Jung 2017). Agapanthia intermedia wurde bisher als Varietät von A. violacea geführt. Durch die Abtrennung von A. intermedia als eigene Art bestehen Unklarheiten über die Verbreitung von A. violacea und A. intermedia in Sachsen-Anhalt, weil Sama (2002) ein sympatrisches Vorkommen beider Arten annimmt. Die wenigen eigenen Funde aus Sachsen-Anhalt gehören der Art A. intermedia an. Gegenüber der Roten Liste 2004 wird nunmehr A. intermedia für A. violacea aufgeführt. Es bleibt weite- ren Untersuchungen vorbehalten, ob beide Arten in Sachsen-Anhalt vertreten sind. Als faunenfremde Art hat sich seit über einem Jahrzehnt in Magdeburg und Umgebung der Asiatische Laubholzbockkäfer Anoplo- phora glabripennis Motschulsky, 1853 angesiedelt. Trotz intensiver Bekämpfungsmaßnahmen (Baumfäl- lungen) gelang es bisher nicht, die Art wieder aus- zurotten. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Art sich dauerhaft in Sachsen-Anhalt etabliert oder sie wieder ausgelöscht wird. A. glabripennis wurde und ist im Artenspektrum bisher nicht berücksichtigt.Der überwiegende Teil der Cerambyciden hat eine xylobionte Lebensweise. Nur verhältnismäßig wenige Arten leben phytophag, meist oligophag an krautigen Pflanzen. Eine Übersicht über die Entwicklung der Bockkäfer geben u. a. von Demelt (1966), Bense (1995) und Klausnitzer et al. (2016). Über die Gründe zur Aufnahme von Rosalia alpina und Trichoferus pallidus in die Rote Liste Sachsen-An- halts berichteten Neumann (2004) und Neumann & Malchau (2016). Gegenüber der Roten Liste 2004 wird aktuell Pedostrangalia pubescens nicht mehr aufgeführt, da die von Borchert (1951) erwähnten Harz-Fundor- te sich nach nochmaliger Prüfung der Datenlage in Niedersachsen befinden (Neumann & Malchau 2016). Wiederfunde und Artbestätigungen ergaben sich seit Neumann (2004) für Anastrangalia dubia (Malchau & Neumann 2012), Chlorophorus herbstii (Bäse 2008), Chlorophorus sartor (Bäse & Malchau 2011), Pachyta quadrimaculata (Neumann 2016) und Ropalopus varini (syn. spinicornis) (mündl. Mitt., O. Blochwitz 2014). Wallin, Nylander & Kvamme (2009) trennten Leio- pus linnei von L. nebulosus ab. Diese veränderte Si- tuation führte zu Aufarbeitungsdefiziten und somit kann das Vorkommen und die Verbreitung beider Arten in Sachsen-Anhalt zurzeit nicht exakt einge- schätzt werden. Sie werden in der Roten Liste mit defizitärer Datenlage aufgenommen. Auch bei Ste- nostola dubia und S. ferrea fehlen exakte Angaben zu Vorkommen und Verbreitung, deshalb wird die genaue Datenlage auch hier wie bereits in der Roten Liste 2004 als „defizitär“ eingeschätzt. Nüssler (1976) handelt die boreomontanen Spe- zies der neuen Bundesländer für unser Faunengebiet ab, Neumann & Händel (2010) geben eine ausführliche Übersicht für Sachsen-Anhalt. Saxesen (1834) be- schreibt für Oxymirus cursor ein vereinzeltes Vorkom- men im Oberharz an. Inzwischen ist dieser Bockkäfer durch das Fichtenabsterben und den damit großen Totholzanteil im Harz häufiger geworden. Zu den phytophag bzw. von Wurzeln lebenden Arten zählt der Erdbock Iberodorcadion fuliginator. Er ist eine Charakterart von Trockenstandorten, der im Mittelelbegebiet seine östliche Verbreitungsgren- ze erreicht. Lokal ist eine rückläufige Bestandsent- wicklung zu verzeichnen (z. B. Halle/S. und Umfeld). Nach Horion (1974) ist jeder Fundort dieses Käfers publikationswürdig. Datengrundlagen Zur Einschätzung des gegenwärtigen Artenbestandes und der Gefährdungssituation der Bockkäfer wurden Daten einer Datenbank herangezogen, die sich haupt- sächlich aus Angaben von EVSA-Mitgliedern, aus Sammlungsauswertungen von Museen und der Zen- tralen Naturkundlichen Sammlung der Universität Halle-Wittenberg sowie Literaturauswertungen von lokalen faunistischen Erhebungen (Literaturauswer- tung bis 2016: Neumann & Malchau 2016) zusammen- setzt. Zur Auswertung wurden zudem die nach 2016 727 Bockkäfer Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Die xylobionten Bockkäferarten entwickeln sich in Holz verschiedener Zerfallsstadien (Klausnitzer 1994). Viele Arten zeigen einen ausgesprochen hohen Spe- zialisierungsgrad hinsichtlich der Habitatansprüche. ”Neben einer oft sehr ausgeprägten Abhängigkeit von verschiedenen abiotischen Faktoren im Brutsubstrat kommt bei zahlreichen xylobionten Käfern eine ganz spezifische Anpassung an die Entwicklungspflanze (Baum- oder Strauchart) ...” hinzu (Bense 1992). Diese differenzierte Lebensweise bewirkt eine oft sehr empfindliche Reaktion auf Veränderungen im Lebens- raum, die sich in der Gefährdungssituation wider- spiegelt. Mitunter entwickeln sich die Käfer in Holz, besuchen dann aber zur Ernährung (pollenophag) und zum Treffen der Geschlechter Blüten. Phytophage Arten entwickeln sich in krautigen Pflanzen. Deshalb haben Waldwiesen, Randhabitate oder Ödlandflä- chen mit blühenden Pflanzen, Sträuchern und Rand- bäumen Bedeutung zum Erhalt solcher Arten. Für viele Bockkäferarten sind gut strukturierte Altholzbestände mit hohem Totholzanteil und Be- reiche mit entsprechender Sonnenexposition für die Entwicklung lebensnotwendig. So stellen ehemalige Hutewälder, Parkanlagen, Alleen, Baumgruppen und auch Einzelbäume essentielle Refugien dar. Einige Arten sind Anzeiger von noch vorhandenen reliktären Restbiotopen der ehemaligen Urwald-Xylobionten- fauna (Geiser 1992). Sie finden in den jungen Wirt- schaftswäldern kaum Entwicklungsmöglichkeiten. Ein Vorkommen von „Reliktarten” ist ein wichtiger Beweis für eine lückenlose, weit zurückgehende Biotoptra- dition...” (Bense 1992). Als ein Refugium solcher Arten hat sich das Biosphärenreservat „Flusslandschaft Mittelelbe“ und die „Colbitz-Letzlinger Heide“ mit ihren Alteichenbeständen und Solitäreichen erwie- sen (Kühnel & Neumann 1977, Jung 2015, Neumann et al. 2015). So entwickeln sich in der Wurzel-, Stamm- und Wipfelregion von Eichen hier u.a. noch Cerambyx cerdo, Akimerus schäfferi, Axinopalpis gracilis und Phymatodes pusillus. In den Gebieten ist ein Großteil der in Sachsen-Anhalt bekannten Bockkäferarten in bisher stabilen Populationen zu finden. Der Schutz und eine Gestaltung entsprechender Biotope ist un- bedingt notwendig. Winter & Nowak (2001) erklären die hohe Bedeutung von Totalreservaten für an Alt- und Totholz gebundene Lebensgemeinschaften. Dies erfordert auch ein Umdenken in der Durchführung forstwirtschaftlicher und baumchirurgischer Sanie- rungsmaßnahmen im Siedlungs- und Erholungs- bereich des Menschen. Besonders bei alten Bäumen „erwächst dem Gesetzgeber durch Änderung der Haftungspraxis für herabfallende Holzteile eine sehr dringende Aufgabe“…(Geiser 1981). Verkehrswegebau, Bebauung, Zersiedlungsmaß- nahmen, Agrartechnik, Biozideinsatz, Fallenwirkung nächtlicher Beleuchtungsquellen, Straßentod, die Entfernung von Alleen, Feldgehölzen, Deichbäumen, Hecken und Streuobstwiesen, Ödlandflächen und großräumige Landschaftszerstörung sind wesentliche Gefährdungsursachen. Ausführlich gehen auf diese Problematik u.a. Geiser (1980, 1981) sowie Möller & Schneider (1992) ein. Mit Ausnahme von Hylotrupes bajulus, Monocha- mus spp. und Tetropium spp. gehören die Bockkäfer nach der „Verordnung zum Erlass von Vorschriften auf dem Gebiet des Artenschutzes…“ vom 21.10.1999 zu den „besonders geschützten Arten“ und davon Cerambyx cerdo, Necydalis major, Necydalis ulmi und Rosalia alpina zu den „streng geschützten Arten“ der Bundesrepublik Deutschland. Durch besseren Kenntnisstand zum Vorkommen der Arten (u. a. durch neue und verbesserte Fang- techniken), klimatischen und systematischen Verän- derungen ergaben sich auch Veränderungen in der Einschätzung des Gefährdungsgrades der in Sachsen- Anhalt nachgewiesenen Bockkäferarten gegenüber der Roten Liste 2004. So werden gegenwärtig die Arten Anastrangalia sanguinolenta, Aromia moscha- ta, Pedostrangalia pubescens, Pogonocherus hispidus, Prionus coriarius und Pyrrhidium sanguineum als nicht gefährdet beurteilt, dagegen wurden Arhopalus ferus, Saperda populnea und Saperda scalaris in die Rote Liste neu aufgenommen. In der aktuellen Roten Liste erscheinen nunmehr von den 137 indigenen Arten Sachsen-Anhalts 108 (78,8 %)! Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Bockkäfer Sachsen-Anhalts. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) 728 0 16 11,7 Gefährdungskategorie R 1 2 - 30 28 - 21,9 20,4 3 29 21,2 Rote ListeGesamt 103 75,2137 Bockkäfer 2 1 34 56 Abb. 1: In lebenden Eichen entwickelt sich mehrjährig der Heldbock (Cerambyx cerdo) in Mitteleuropa. Neben dem Mulmbock (Ergates faber) ist er mit über 50 mm Länge der größte heimische Bockkäfer. Die Abbildung zeigt einen männlichen Heldbock-Käfer neben einem Schlupfloch (Foto: V. Neumann). Abb. 2: Nach einem Fraß in abgestorbenen Eichenwurzeln oder verrottenden Ästen nahe der Erdoberflä- che überwintert das letzte Larvenstadium des Eichen-Tiefaugenbockes (Cortodera humeralis) im Boden. Die Käfer besuchen im Mai bis Juni Blüten (oft Weißdorn). Die einjährige Entwicklung erfolgt auch in Prunus (Fam. Rosengewächse Rosaceae) (Foto: D. Rolke). Abb. 3: Die Imagines des Gemeinen Zimmerbockes (Acanthocinus aedilis) überwintern nach einer ein- bis zweijährigen Entwicklung unter der Rinde ihrer Brutbäume (abgestorbene Nadelholzstämme, meist Kiefer). Durch Aneinanderreiben von Halsschild und Thorax können sie zirpende Laute erzeugen (Foto: K. Neumann). Abb. 4: Der Messerbock (Axinopalpis gracilis) ist eine akrodendrische Art. Sie entwickelt sich vorrangig in abgestorbenen Eichenzweigen, aber auch in anderen Laubhölzern. Der deutsche Name des verhältnismäßig kleinen Bockkäfers (5 – 12 mm) rührt von dem großen messerförmig ausgebildeten Kiefertastenendglied her. (Foto: K. Neumann). Abb. 5: Der Schwarzrandige Halsbock (Ana- strangalia dubia) entwickelt sich in totem Nadelholz. Die Generationsdauer beträgt mindestens zwei Jahre. In Sachsen-Anhalt erstreckt sich die Verbreitung des Schwarzrandigen Halsbockes auf einen kleinen Bereich im Harz (Foto: V. Neumann). Abb. 6: Der Metallische Scheibenbock (Callidium aeneum) entwickelt sich hauptsächlich unter der Rinde toter dünner Nadelholzäste und -stämme (Foto: K. Neumann). 729
Types:
Origin: /Land/Sachsen-Anhalt/LAU
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Language: Deutsch
Issued: 2020-08-31
Modified: 2020-08-31
Time ranges: 2020-08-31 - 2020-08-31
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