Description: Stellungnahme der LTBen zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 23.1.2021 für ein Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes – Schutz von Versuchstieren, BR-Drucks. 47/21, BT-Drucks. 19/27629, sowie BR-Drucks. 48/21, BT-Drucks. 19/27630 An den Vorsitzenden des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft Herrn MdB Alois Gerig Deutscher Bundestag Platz der Republik 1 D-11011 Berlin Sehr geehrter Herr Ausschussvorsitzender Gerig, sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft, die Landestierschutzbeauftragten der Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein wenden sich heute an Sie, um ihren fachlichen Unmut betreffend den Inhalt der bisherigen Ent- wurfsfassung des geplanten Änderungsgesetzes zum Tierschutzgesetz (Stand: 17.03.2021) zum Ausdruck zu bringen. Es ist unstreitig, dass die EU-Tierversuchs-Richtlinie 2010/63/EU bisher nicht korrekt in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Es ist deshalb zugleich unstreitig, dass Versuchstiere in Deutschland seit vielen Jahren nicht den rechtlichen Schutz erhalten, der ihnen mindestens zustehen würde. Umso befremdlicher ist es, dass die im Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz positiv votierten Anträge, die eine richtlinienkonforme Umsetzung und einen deutlichen Gewinn im Sinne des Tierschutzes darstellten, im Bundesrat abgelehnt wurden. Doch damit nicht genug: Die weni- gen tierschutzfreundlichen Votierungen, zu denen sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme durchringen konnte, sind durch die Gegenäußerung der Bundesregierung abgeschmettert worden. Die Landesstierschutzbeauftragten sehen deshalb im bisher vorliegenden Entwurfstext zum o.g. Gesetz weiterhin erhebliche - nicht zu tolerierende - Umsetzungsdefizite im Vergleich zu den tier- schutzrechtlichen Vorgaben der EU-Richtlinie. Nachfolgend wollen wir diese im Einzelnen auffüh- ren. Wir bitten Sie freundlich um Beachtung und Berücksichtigung im weiteren Gesetzgebungsver- fahren: I. Zu Artikel 1 Nr. 1, Einfügung eines neuen § 5 Abs. 3 Nr. 7f in das Tierschutzgesetz 1. Es wird vorgeschlagen, den geplanten § 5 Abs. 3 Nr. 7f ersatzlos zu streichen. 2. Begründung: 1 2.1 Die Änderung verstößt gegen Art. 20a GG, Staatsziel Tierschutz. Zu den Teilzielen dieser Staatszielbestimmung gehört der Schutz der Tiere vor vermeidbaren Leiden, vgl. amtl. Begr., BT-Drucks. 14/8860 S. 1, 3: „Daraus folgt die Verpflichtung, Tiere in ihrer Mitgeschöpflichkeit zu achten und ihnen vermeidbare Leiden zu ersparen. Diese Ver- pflichtung… umfasst drei Elemente, nämlich: den Schutz der Tiere vor nicht artgemäßer Hal- tung, vermeidbaren Leiden sowie der Zerstörung ihrer Lebensräume.“ Die Schmerzen und Leiden, die einem Nagetier zugefügt werden, das ohne Betäubung durch eine Ohrtätowierung, die Einziehung einer Ohrmarke oder eine Ohrlochung gekenn- zeichnet wird, lassen sich vermeiden, indem z.B. vor dem Eingriff auf die vorgesehene Kör- perstelle eine Salbe mit lokal betäubender Wirkung aufgetragen wird (z.B. Lidocainsalbe). Dass den für die Durchführung von Tierversuchen Verantwortlichen nicht einmal diese wenig zeit- und kostenintensive Schutzmaßnahme zugemutet werden soll, ist zugleich ein Verstoß gegen das in § 7a Abs. 2 Nr. 4 TierSchG zum Ausdruck gebrachte Prinzip, dass Tieren keine Schmerzen, Leiden oder Schäden aus Gründen der Arbeits-, Zeit- oder Kostenersparnis zu- gefügt werden dürfen. Dieses Prinzip stellt zugleich eine Konkretisierung des verfassungs- rechtlichen Verbots der Zufügung vermeidbarer Leiden dar und steht deshalb nicht zur Dis- position des Gesetzgebers. Schmerzen oder Leiden, die sich mit höherem Arbeits-, Zeit- o- der Kostenaufwand vermeiden lassen, müssen vermieden werden und sind nicht im Rechts- sinne unvermeidbar. 2.2 Die Änderung verstößt zugleich gegen Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2010/63/EU. Hier wird zur Kennzeichnung von drei Arten von Versuchstieren die Anwendung „der am we- nigsten schmerzhaften Methode, die möglich ist“ vorgeschrieben. Die am wenigsten schmerzhafte Methode ist eine lokale Betäubung, sei es durch Aufbringen einer Salbe mit betäubender Wirkung, sei es durch Injektion eines betäubenden Mittels. Die Regelung in Art. 32 Abs. 1 macht deutlich, dass die Kennzeichnung von Versuchstieren entgegen der Annahme der Bundesregierung, die sich zur Begründung für ihren Entwurf auf Art. 1 Abs. 5 lit. e der Richtlinie beruft, sehr wohl in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt; sonst hätte hier nicht die Kennzeichnung von Hunden, Katzen und nichtmenschlichen Primaten geregelt und dafür die „Verwendung der am wenigsten schmerzhaften Methode, die möglich ist“ vorgeschrieben werden können. Als Erklärung kann dienen, dass es bei der Kennzeichnung von Versuchstieren nicht allein um Identifizierung im Sinne von Art. 1 Abs. 5 lit. e geht, sondern auch um eine Erleichterung zur Erreichung der wissenschaftlichen Zwe- cke, die mit den später stattfindenden Eingriffen und Behandlungen angestrebt werden. Da- mit aber ist diese Kennzeichnung Bestandteil des späteren Tierversuchs und fällt in den An- wendungsbereich der Richtlinie. § 5 Abs. 3 Nr. 7f enthält also eine Regelung, aufgrund derer Tieren Schmerzen und Leiden zugefügt werden dürfen und die so in der Richtlinie nicht vorgesehen ist. Das ist nicht zuläs- sig. 2.3 Die Änderung führt zu einer Verschlechterung des bisher geltenden Tierschutzstandards. 2 Offenbar sind Kennzeichnungen bislang als Bestandteil des an dem Tier geplanten Tierver- suchs behandelt worden (s. o. 2.2) und damit Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ge- wesen, in dem entsprechend der Zielsetzung des „Refinement“ die Verwendung der am we- nigsten schmerzhaften Methode, die möglich ist, durchgesetzt werden konnte. Dies soll jetzt entfallen. Damit aber handelt es sich bei der Neuregelung um ein Gesetz, mit dem der bislang gel- tende Tierschutzstandard verschlechtert werden soll – obwohl der Gesetzgeber bisher in al- len Änderungsgesetzen als Zielsetzung deutlich gemacht hat, an dem einmal erreichten Tier- schutz-Niveau festhalten und nicht dahinter zurückgehen zu wollen. II. Zu Artikel 1 Nr. 3 b, Neufassung von § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 mit dem Ziel einer Herausnahme von Eingriffen oder Behandlungen an Nutztieren in landwirtschaftlichen Haltungsbetrieben aus dem Anwendungsbereich der §§ 7-10 TierSchG. 1. Es wird vorgeschlagen, den neuen § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 ersatzlos zu streichen. 2. Begründung: Eingriffe und Behandlungen an landwirtschaftlichen Nutztieren in einem Haltungsbetrieb, die nicht zu Versuchszwecken, sondern zu einem der in § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1-3 TierSchG ge- nannten Zwecken – also z.B. zu Zwecken der Aus-, Fort oder Weiterbildung – vorgenommen werden, sind bislang in den Anwendungsbereich des § 8a Abs. 1 Nr. 3 und 4 TierSchG gefal- len, woraus sich für die betroffenen Tiere ein – wenn auch nur relativer – Schutz ergeben hat (der jetzt, nachdem solche Eingriffe und Behandlungen unter Genehmigungsvorbehalt ge- stellt werden, stärker als bisher wäre). Da jedoch solche Eingriffe und Behandlungen nach bereits erprobten Verfahren vorgenom- men werden, dienen sie nicht zu wissenschaftlichen Zwecken. Sie würden also im Falle ei- nes Inkrafttretens von § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 in der geplanten Fassung aus dem Schutzbe- reich der §§ 7-10, in den sie bisher gefallen sind, herausfallen. Damit entsteht eine Schutzlü- cke. Mit § 7 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 wird somit ebenfalls einer Verschlechterung des bisher bestehen- den Tierschutzniveaus angestrebt, was der Zielsetzung, die den bisher zustande gekomme- nen Änderungsgesetzen jeweils zugrunde gelegen hat, zuwiderläuft. III. Zu Artikel 1 Nr. 3c, Einfügung eines neuen § 7 Abs. 2a 1. Es wird vorgeschlagen, den geplanten § 7 Abs. 2a wie folgt zu fassen: 3
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Language: Deutsch
Issued: 2021-04-29
Modified: 2021-04-29
Time ranges: 2021-04-29 - 2021-04-29
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