[Redaktioneller Hinweis: Die folgende Beschreibung ist eine unstrukturierte Extraktion aus dem originalem PDF] umwelt
journal
Rheinland Pfalz
Klima im Wandel
Der anthropogene Klimawandel
Gesellschaftliche
Herausforderungen
Atomkraft? Nein Danke!
Enquete-Kommission zum
Klimawandel
Klimafreundlich einkaufen
Fairer Handel und Klima
Verbraucherschutz
Herausgegeben vom
Ministerium für Umwelt,
Forsten und Verbraucherschutz
Rheinland-Pfalz
Heft 51 Oktober 2008
impressum
inhalt
umwelt
editorial
umweltjournal
Rheinland-Pfalz
Nr. 51 (Oktober 2008)
Das umweltjournal
ist kostenlos.
Herausgeber:
Ministerium für Umwelt,
Forsten und Verbraucherschutz
Kaiser-Friedrich-Straße 1
55116 Mainz
Tel. 06131 – 16 4433
Fax. 06131 – 164629
Redaktion:
Dr. Ralph Plugge (verantwortlich)
Gestaltung:
media machine GmbH, Mainz
Druck:
Druckerei Lang, Mainz
Fotos:
Landeskongress „Schulen gestalten
Zukunft“: Frank Schnadthorst, MBWJK
Qualifizierung in der BNE-Fachbera-
tung: Franz Stefan Frößl, MUFV
ProjektPhotos, Digitalstock
Sofern nicht besonders erwähnt,
wurden die Fotos von den jeweiligen
Autoren zur Verfügung gestellt.
Die mit Namen der Autoren
gezeichneten Artikel geben
nicht unbedingt die Meinung
der Redaktion wieder.
Titel-Thema: Klima im Wandel
- Die Klimax des anthropogenen Klimawandels
- Die Entdeckung des Einflusses der Menschheit
- Stadtnatur, Biodiversität und Klimawandel
- Gesellschaftliche Herausforderungen
- Klimaschutz sozial gestalten
- Atomkraft? Nein Danke!
- AKW Mühlheim-Kärlich - 20 Jahre vom Netz
- Das Klima ändert sich in Rheinland-Pfalz
- Klimawandel in Rheinland-Pfalz
- Enquete-Kommission zum Klimawandel
- KlimLandProjekt
- Projekt ForeStClim
- Wie reagiert die Forstwirtschaft auf den Klimawandel
- Klimawandel – eine Herausforderung auch für Winzer
- Abwasser – Steigerung der Energieeffizienz
- Klimaveränderung und Wasserwirtschaft.4
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LZU-Journal49
Wasgauer Gespräche: „Schlechtes Wetter für die Natur?“ • Marienstatter
Zukunftsgespräche • NaturErlebnisWochenende 2009 • Nachhaltiger Kon-
sum und Klimaschutz • Peak Oil: Vom Ende des Erdölzeitalters • Aufre-
gung am Eichbaum - Umweltmusical für Kinder • Leben gestalten lernen
• Spritspartraining • Zukunftsfähiger Hunsrück: Die Alten im Dorf lassen •
Qualifizierung in der BNE-Fachberatung • Drei Fragen: Stiftung Gemeinsa-
mes Rücknahmesystem Batterien • „Wald ist Vielfalt“: eine Umfrage
Verbraucher und Verbraucherschutz
Klimafreundlich einkaufen
Fairer Handel schafft gutes Klima!
Verbraucherrecht bei den neuen Medien stärken
Faltblattserien „Lebensmittel des Monats“ und
Verbrauchertipp des Monats
Verbraucherinformationsgesetz: Recht auf Auskunft
Verbraucherschutzbericht Rheinland-Pfalz
Forum Nachhaltigkeit
Neues Logo für BNE; Leitbild BNE in Rheinland-Pfalz
Landeskongress „Schulen gestalten Zukunft“
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Klima im Wandel
Der Klimawandel ist Realität - auch in Rheinland-Pfalz. Dass diese Verän-
derungen etwas mit unserer Lebens- und Wirtschaftsweise zu tun haben,
ist mittlerweile unstrittig. Der Klimawandel ist eine der wichtigsten öko-
logischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit.
Der Schutz des Klimas steht ganz oben auf der politischen Agenda des
Landes. „Rheinland-Pfalz, ein Land voller Energien“ heißt das integrierte
Klima- und Energiekonzept mit ambitionierten Zielen. Wir setzen dabei auf
eine Energiepolitik, die konsequent auf die Verringerung des Kohlendioxid-
ausstoßes abzielt.
Gleichzeitig befassen wir uns aber auch mit der Entwicklung von Anpas-
sungsstrategien an den sich abzeichnenden Klimawandel. Hier liegt der
Schwerpunkt des vorliegenden Heftes.
Der rheinland-pfälzische Landtag hat eine Enquete-Kommission zum Kli-
mawandel eingesetzt, die sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie eine
erfolgreiche Anpassung der Menschen, der Natur und der Wirtschaft an die
Klimaveränderungen erfolgen kann.
Wir stellen Ihnen in diesem Heft außerdem zwei Vorhaben der Landesre-
gierung vor: gemeinsam mit dem renommierten Potsdam Institut für Kli-
mafolgenforschung und verschiedenen rheinland-pfälzischen Universitäten
arbeiten wir an dem interdisziplinären Forschungsprojekt zum Klima- und
Landschaftswandel in Rheinland-Pfalz „KlimLandRP“. Dabei werden die
regionalen Auswirkungen des Klimawandels untersucht und Risiken aber
auch mögliche Chancen identifiziert und nachhaltige Strategien und An-
passungsmöglichkeiten entwickelt.
Das Kooperationsprojekt „Klimaveränderung und Konsequenzen für die
Wasserwirtschaft - KLIWA“ zusammen mit Baden-Württemberg und Bay-
ern stellt die Veränderungen im Bereich Hochwassersicherheit und Was-
serwirtschaft ins Zentrum ihrer Untersuchungen.
Wir wollen Klimapolitik in Verantwortung für gegenwärtige und künftige
Generationen nachhaltig und aktiv gestalten. Dabei können Sie als Bürge-
rinnen und Bürger mithelfen. Viele kleine Maßnahmen im Alltag, der bewus-
stere Umgang mit Energie, im Haushalt, bei der persönlichen Mobilität und
ein verantwortlicher Konsum können helfen, die Emission klimaschädlicher
Gase zu reduzieren.
Margit Conrad
Ministerin für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz
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Klima im Wandel
Die Klimax des anthropogenen Klimawandels
im Horizont der abendländischen Geschichte
Die Wahrnehmungsgeschichte des anthropogenen Klimawandels kann man nur
als Geschichte verweigerter Wahrnehmung dessen darstellen, was der Mensch als
Selbstexperiment mit offenem Ausgang zu tun im Begriffe ist. Sie sieht in Kürze wie
folgt aus:
Minus 12.000 *0*15*70*
Der menschengemachte Klimawandel
macht etwa 100 Prozent des gesam-
ten Klimawandels in den letzten gut
100 Jahren aus. Der Urheber kam aus
dem Holozän, dieser so ungewöhnlich
stabilen und also 'wirtlichen' Warm-
zeit, eine Ausnahmeerscheinung der
Erdgeschichte. Es ist diese Stabilität,
die zu zerstören der Mensch sich an-
geschickt hat, begonnen etwa 12.000
Jahre nach Beginn des Holozäns. Da
wurde im Kernbereich des christlichen
Abendlandes zweierlei entdeckt: (i)
die Dampfmaschine. Die eröffnete den
Zugang zur Kohle und löste, wie die
zeitgenössisch lebenden Menschen es
hellsichtig selbst bezeichneten, eine
Revolution aus: Die 'Industrielle Re-
volution'. Die Begrenztheit der Fläche
wurde überwunden. Und (ii) kamen sie
in Kontakt mit einer Kraft, die sich von
ihrem Gotte her speiste, und zugleich
eine grausige Kehrseite aufwies: In
der Französischen Revolution wurde
die christlich-neutestamentliche Trias
von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
geschichtsmächtig und zugleich zeigte
sich in den Napoleonischen Kriegen,
welch überlegene militärische Macht
dieses 'In-Kontakt-Kommen' in sich
bislang beschlossen hielt.In ihrer eigenen Zeitrechnung, die sich
an der Geburt ihres Gottes orientierte,
schrieben die Menschen die 18. Jahr-
hundertwende. Nehmen wir diese als
Jahr Null, dann leben wir heute im
Jahre 208 – das Jahr 215 ist mit dem
jüngsten IPCC-Bericht als Klimax-
Datum erkannt, ab dem die Treibhaus-
gasemissionen nur noch abwärts sich
entwickeln dürfen.Die alten Mächte in Europa, die ihre
Konkurrenz untereinander zuvor ge-
legentlich in Kriegen ausgelebt hatten
und gelernt hatten, damit zu (über)
leben, erschraken ob der gesteigerten
Möglichkeiten der Macht auf Basis der
neu entdeckten grausigen Leidenschaft
eines Volkes. Sie begruben ihre Kriege
untereinander, auf einem Kongress in
Wien. Stattdessen griffen sie aus nach
außen. Sie eroberten sog. Kolonien
in der Dritten Welt und betrieben dort
Plantagenwirtschaft zur Rohstoffversor-
gung ihrer heimischen Wirtschaft; nach
innen lebten sie ihr Konkurrenzstreben
über einen Wettbewerb in der Steige-
rung ihrer industriellen Entwicklung aus.
Die Verfügbarkeit von Kohle machte
das Vereinigte Königreich und Deutsch-
land zu den Antipoden dieser Zeit; sie
auch machte es möglich, dass in Eu-
ropas Kernland der Druck auf rezente
Kohlenstoffe, also die Wälder, deutlich
abnehmen konnte, die geordnete Forst-
wirtschaft möglich wurde. So ausge-
stattet begann im Jahre 70 die fossile
Epoche 'quantitativ'.Fossile Energieträger fördern heißt,
so der Wortsinn, „Tote ausgraben“.
Aus 100 Tonnen einstigen pflanzlichen
Lebens werden gerade mal 4 Liter Ben-
zin. Der Mensch verfeuert inzwischen
soviel fossile Energie pro Jahr, wie in
rund 1 Mio. Jahren gebildet wurde – die
CO2-Emissionen rezenten Kohlenstoffs
aus Entwaldung und weitere Treibh-
ausgase nicht gerechnet. Auf dieser
Basis ist Expansion möglich, und ihr
Schema ist seit dem Jahre 70 offenbar:
Das Konzept der Industriewirtschaft
in Europa wird global verallgemeinert
– aus diesem Grunde nennen sich die
Entwicklungsländer, der Rest der Welt,
'Entwicklungsländer'. An dem expansi-
ven Konzept ist nichts verborgen, der
Mensch vollzieht seine Programmatik,
im 1. Jahrhundert nach Erfindung der
Dampfmaschine entwickelt, im 2. Jahr-
hundert gänzlich transparent; die Men-
schenzahlen auf dem Globus wachsen,
da dank Industrialisierung die Trageka-
pazität der Erde enorm zugenommen
hat. Dass das Abfallprodukt von Ver-
brennung und Urbarmachen von Land
zu einer Erhöhung des CO2-Gehalts in
der Atmosphäre führt, ist also sicher
und war leicht vorherzuberechnen –
sollte es anders kommen, müssten die
Bäume x.000fach gestapelt in Hoch-
häusern wachsen.
60*70*
Im Jahre 60 macht ein britischer Ge-
lehrter in einem Vortrag vor der Royal
Society klar, dass es so etwas wie en-
ergetisch nicht-neutrale (Treibhausga-
se; THG) gibt. Der Anlass: Er hatte sich
über das herrlich günstige Kleinklima
in den so typischen Gärten seines Hei-
matlandes verwundert. Sein Ergebnis:
Zu den Treibhausgasen gehört CO2.
Außerdem bedeutete das: THG, Teil der
Luft nur im ppmv-Bereich, sind für die
Erdtemperatur verantwortlich. Kleinste
Mengen haben große Wirkungen. Dass
es sich um ein Phänomen nicht-linearer
Struktur handelt – wo also 'kleine Ursa-
chen, kleine Wirkungen' nicht gilt –, war
damit klar.Wissenschaftlich herrschte, ist man
versucht zu sagen, die Mär vom „un-
endlichen Luftmeer“ – eine naheliegen-
de Konsequenz, wenn die Vernunft, die
das Ganze im Blicke hält, zum Auszug
aus der Wissenschaft gezwungen und
damit dem Wunschdenken Raum zum
Einzug geschaffen wurde. Die Mär
vom „unendlichen Luftmeer“ ist eine
per Zitat belegbare Vorstellung eines
historisch bestimmbaren Menschen:
Clemens Winkler. Winkler war ein be-
kannter Chemiker und Ingenieur, tätig
in den Freiberger Hütten im königlichen
Sachsen. Sein Name wird im Zusam-
menhang mit der Entdeckung eines
Elements sowie einem weitverbreiteten
Rauchgasreinigungsverfahren noch
heute tradiert. Er war nicht irgend-
wer, er war einflussreich. Und er war
repräsentativ, er war Sprecher für ein
bemerkenswertes Naturverständnis im
ausgehenden 19. Jahrhundert. Sein
herausfordernder Satz lautet:
60 - 90*
In den folgenden 30 Jahren wird das
Problem möglicher Konsequenzen des
menschlichen Eingriffs in großskalige
natürliche Kreisläufe am Beispiel des
Stickstoffs (Liebig) an die Wissenschaft
herangetragen – und sie reagiert mit
der Erklärung, dass solch großskalige
Betrachtungen unwissenschaftlich
seien. Die Konsequenz: Nur in der sog.
Populärwissenschaft, also extra muros
der ‚eigentlichen’ Wissenschaften, war
das, was sich als lebensentscheidend
erweist, noch thematisierbar.
„Die Massen verbrauchter Steinkohle
verschwinden spurlos in dem gewalti-
gen Luftmeer.“
Winkler hatte sich der Frage, ob „die
Massenverbrennung von Kohle ...
nicht vielleicht eine Veränderung der
Beschaffenheit der Atmosphäre bis zur
Störung des bisherigen chemischen
Gleichgewichtes zur Folge haben kön-
ne“, immerhin gestellt. Doch er hat sie
„mit großer Bestimmtheit“ verneint.
Er hat seinem, mir unglaublichen,
Glauben Ausdruck verliehen, dass die
Pflanzenwelt den vermehrten Ausstoß
von Kohlendioxid in die Luft durch eine
entsprechend verstärkte Produktion
von Biomasse zu regulieren imstande
sei. Wie aber sollen Vorräte aus 400
Millionen Jahren Erdgeschichte auf der
Erdoberfläche in Form von Bäumen
Platz finden?
*Jahr der Geschichte der Industriegesellschaft
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Klima im Wandel
100*170*192*190*Was sagt uns dieser Rückblick?
Etwa um die gleiche Zeit stellt ein
schwedisch-deutscher Gelehrter den
Zusammenhang von Veränderung der
Konzentration von Kohlendioxid in der
Atmosphäre und resultierender Tempe-
raturänderung der Luft an der Erdober-
fläche quantitativ so dar, wie es noch
zum heutigen Stand der Wissenschaft
passt. Arrhenius schätzte die sog. 'Kli-
masensitivität' auf 5 °C. Ohne jegliche
Stimmung von ‚Alarm’.Wieder ein Großereignis, Ausdruck die-
ser schlafwandlerischen Sicherheit der
kollektiven Seele, sich nicht durch Ein-
sicht in das Naheliegende irritieren zu
lassen. In Deutschland war mittlerweile
das Umweltproblem politisch entdeckt
worden, und die Bundesregierung hatte
fünf deutsche Professoren um einen
Vorschlag gebeten, wie die wissen-
schaftliche Beratung angesichts der
neuartigen Herausforderung, der mit
der 'Umweltpolitik' begegnet werden
sollte, angemessen einzurichten sei.
Die hatten geantwortet: Ihr habt keinen
Sack diverser Umweltprobleme vor
Euch – die Vielzahl von Problemen ist
vielmehr Ausdruck von etwas Einheit-
lichem: Ihr habt ein Erdsystemproblem
zur Lösung vor Euch. Die denkwürdige
Entscheidung der Bundesregierung
daraufhin lautete: Das interessiert uns
nicht – wir richten die wissenschaftliche
Beratung 'zunächst einmal' so ein, dass
wir von der Wissenschaft nur mit den
dringlichen (Klein-)Problemen konfron-
tiert werden können; die Ökologie ist
keine ernstliche Wissenschaft, sie ist
zu unsicher – 31 Jahre später, im Ro-
sengarten des Weißen Hauses, ist 'no
sound science' als Echo zu hören. Eine
'Lösung', die in Deutschland immerhin
gut 15 Jahre vorhielt.Die Staatenwelt einigt sich im UN-Rah-
men (Rio de Janeiro), den anthropoge-
nen Klimawandel nicht die Grenze zur
"Gefahr" überschreiten zu lassen.
Etwa drei Jahre zuvor war das hege-
moniale Ringen der Weltnachkriegszeit
entschieden worden – die USA hat-
ten sich durchgesetzt. Die Welt war
gleichsam von heute auf morgen ‚ohne
Feind(bild)’. In Rio wurde deshalb auf
diese Feindbildlosigkeit reagiert – der
Mensch bzw. die Politik bedarf eben
der Feindbilder. Die „Rio“-Erklärung
beziehungsweise die Agenda 21 mag
manchen an zentrale Texte des Alten
Testaments erinnern (Agenda 21, Chap.
1, Preamble, no 1.1).1990 ist das Jahr, seitdem (1) die Uhr
hinsichtlich der Lösung gleichsam
'tickt'; (2) gilt es als Referenzjahr für
alle rechtlich verbindlich und also ernst
gemeinten Emissionsvergleiche. Die
implizit zwischen Nord und Süd in Rio
verabredete road map der multilate-
ralen Klimapolitik kann man auf 60
Jahre, bis 2050, bemessen und in drei
20-Jahre-Abschnitte einteilen. Das
Kyoto-Protokoll sollte ein erster Schritt
sein innerhalb dieser road map. Um
das Ziel, den Klimawandel zu stoppen,
zu erreichen, sollten die Industriestaa-
ten in der ersten Phase vorangehen. In
einem zweiten Schritt sollten die Ent-
wicklungsländer nachziehen. Wenn der
kollektive Emissionspfad dann nach un-
ten weist, sollte in einem dritten Schritt
nachgelegt werden, um die (Zwischen-)
Zielmarke für das Jahr 2050 zu unter-
schreiten.Ich weise auf die unauflösliche Verklam-
merung von Nicht-Handeln und Nicht-
Wahrnehmen hin. Und darauf, dass wir
weit entfernt davon sind, das Problem
kollektiv wahrzunehmen.
135*
Es trat wiederum ein britischer Ama-
teurwissenschaftler auf. Wir befinden
uns inzwischen im zweiten Jahrhundert
der neuen Zeitrechnung. Es ist kurz
vor dem Zeitpunkt, zu dem die Euro-
päischen Mächte bereits ein zweites
Mal in diesem Jahrhundert aufeinander
einzuschlagen sich anschicken – nun
unter Einsatz der fürchterlichen Mittel,
die ihnen die Beherrschung von Energie
in früher unvorstellbaren Ausmaß eröff-
net hatte. Da zog James Callendar eine
Bilanz und zeigte, dass der Mensch
gleichsam voll auf der 'Spur' sei – die
renommierten Akademiewissenschaftler
jedoch, die Fachleute, bügelten seine
Analyse ab.
157*
180ff
Bald nach dem Zweiten Weltkrieg
streifte zwei US-amerikanische Wis-
senschaftler der Mantel der Wahrheit
– sie zertrümmerten die Hoffnung, die
man hegen konnte, hinsichtlich des
Verbleibs der Unmengen des Abfallpro-
dukts CO2. Man meinte, im enggeführ-
ten Wunschdenken befangen, welches
ohne Rücksicht auf die Lebewesen in
den Ozeanen war, dass der Ozean gnä-
digerweise das menschliche Tun abpuf-
fern würde, indem er umstandslos und
sofort alles überschüssige CO2 aus der
Atmosphäre im Ozean in Lösung gehen
ließe. Bei ihrer Extrapolation auf das
Jahr 200 aber 'vergaßen' sie den expo-
nentiellen Charakter des Bevölkerungs-
wie des wirtschaftlichen Wachstums.
Oh gnadenvolle simplicitas.
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Inzwischen hatte sich die Klimawis-
senschaft global ausgestellt, mit voller
organisatorischer UN-Autorität, auf Au-
genhöhe gleichsam. Aus dieser Position
heraus stellt sie im Jahre 180, und im
Jahre 185 endgültig, fest: Der Mensch
hat ein schwerwiegendes (Klima-)
Problem. 188 leitet die UN-General-
versammlung, auf Antrag Maltas, den
Prozess ein, der im Jahre 189 zum Ver-
handlungsmandat führt und schließlich
zum Durchbruch. Die Staatenwelt aner-
kennt das Problem und die Aufgabe, es
zu lösen.
189*
Mit dem Ende des Ost-West-Gegensat-
zes wird das Ende der (sozial) bipolaren
Welt ausgerufen. Doch zugleich wird
eine neue confrontation erklärt, die die
alte ablöst beziehungsweise ablösen
soll. Doch die neue ist nicht gegen eine
soziale Gruppe gerichtet, im Gegen-
teil, sie setzt die Aufhebung sozialer
Feindschaft voraus: „Humanity stands
at a defining moment in history. We are
confronted with a perpetuation of dis-
parities between and within nations ...“
und dann werden alle Übel unserer Zeit
aufgeführt und betont, dass sie über-
wunden werden müssen. Der Schluss
daraus lautet: „No nation can achieve
this on its own.“ Das heißt, wenn uni-
versal, also in der Weltordnung, allein
und uneingeschränkt das Wettbewerb-
sprinzip gilt, dann ist den konstatierten
Übeln nicht abzuhelfen. „But together
we can – in a global partnership for su-
stainable development.“ Das heisst das
Kooperationsprinzip hat das Wettbe-
werbsprinzip ‚einzuhegen‘, auch global
gilt diese schlichte Weisheit. Folglich
wird ein neuer Bund (a new partnership
to overcome confrontation; Agenda 21,
Chap. 2, Introduction, no 2) proklamiert.
204-207*
Im Jahre 204 legt die organisierte
Erdsystemwissenschaft das Komple-
ment zum autoritativen Bericht zum
Klimaproblem von Villach vor – und
wird nicht wahrgenommen. Im Jah-
re 207 (Heiligendamm) versucht die
EU-Ratsvorsitzende die G-8-Führer
zu einer gemeinsamen Definition von
'Gefahr' zu bewegen – vergeblich.
Die Führer etablierter Industriestaaten
mit noch erheblichen Vorräten fossiler
Energieträger unter ihrem Territorium
(USA; Kanada; Australien) sowie die
Führer sich gerade industrialisierender
Entwicklungsländer wissen um die Ge-
fahr, die Klima-Gefahr anzuerkennen.
Allein das alt-industrielle Europa, seiner
fossilen Vorräte inzwischen entledigt,
sieht, im Verein mit Japan vielleicht, in
der Anerkenntnis der Klima-Gefahr eine
Chance.
Die historischen Beispiele besagen:
a. Wir haben unser kollektives Wahr-
nehmungsorgan, die Wissenschaft,
exakt so eingerichtet, dass sie not-
wendig das Problem unzureichend,
unterschätzend – und sehr spät nur –
wahrzunehmen vermag; hinzu kommen
die ihres Überlebens willen auf Konflikt
gebürsteten und von ihren Anzeigen-
kunden abhängigen Medien im wettbe-
werblichen System; – denjenigen, die
dem Medienschein hilflos ausgesetzt
sind, ist der Zugang zur Realität der Po-
litik damit kaum möglich. Das ist nach
meinem Eindruck die überwältigende
Mehrheit selbst des akademisch ausge-
bildeten Teils der Bevölkerung (incl. der
Journalisten).
b. Die Anerkennung des Klimapro-
blems ist die Anerkennung dessen,
dass die Industriegesellschaft mit ihrer
Basierung auf fossilen Energien in eine
'Sackgasse' gelaufen ist, dass die Le-
bensleistung der eigenen Person samt
einiger Generationen vor uns somit als
auswegarmer 'Irrtum' zu erkennen und
vor allem anzuerkennen ist. Wer um
die Mechanismen der menschlichen
Seele weiß, weiß auch, dass eine sol-
che Selbstbezichtigung in aller Regel
nicht, und wenn, dann häufig nur am-
bivalent – und also auch so nicht – zu
haben ist. Ambivalenz heißt konkret: Ja
sagen, aber Nein meinen. Auch Zynis-
mus übrigens, die maskierte Form der
Depression, ist Ausdruck eines solchen
– ich betone: sehr verständlichen – Wi-
derstandes.
Das Klimaproblem werden wir nur lö-
sen, wenn wir es wahrnehmen, et vice
versa – uno actu. Das ist m.E. aufgrund
ähnlicher Konstellationen der Wahrneh-
mung von kollektiver Lebensgefährdung
unter Verhältnissen von Macht und In-
teressen offenbar.
Autor
Hans-Jochen Luhmann (geboren 1946);
Studium der Mathematik, Volkswirt-
schaftslehre und Philosophie in Ham-
burg, Basel und Heidelberg Dr. rer. pol.
1974-1980 Mitglied der Arbeitsgruppe
Umwelt, Gesellschaft, Energie (AUGE)
an der Universität Essen. Geschäfts-
führer der Vereinigung Deutscher
Wissenschaftler (VDW); in den acht-
ziger Jahren: Studienleiter Deutscher
Evangelischer Kirchentag; Fichtner
Beratende Ingenieure, zuletzt Leiter der
Fachabteilung "Ökonomie und Recht".
Seit 1993 Wuppertal Institut für Klima,
Umwelt, Energie, stv. Leiter Abt. Kli-
mapolitik. Gegenwärtig: Projektleiter
Grundsatzfragen, Wuppertal Institut für
Klima, Umwelt, Energie. Herausgeber
der Zeitschrift „Gaia – Ökologische
Perspektiven für Wissenschaft und
Gesellschaft“. Chefredakteur „Wup-
pertal Bulletin zu Instrumenten des
Klima- und Umweltschutzes“. Mitglied
im Beirat Jahrbuch Ökologie sowie in
den Beiräten der Vereinigung Deutscher
Wissenschaftler und der Deutschen
Umweltstiftung. Autor von „Die Blind-
heit der Gesellschaft“ München: Gerling
Akademie Verlag 2001.
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Klima im Wandel
Klimawandel
Die Entdeckung des Einflusses der Menschheit
Es war im März 1995 als der Gründungsdirektor des
Max-Planck-Institutes für Meteorologie, Klaus Has-
selmann, bei einer Pressekonferenz mit dem Bundes-
minister für Forschung und Technologie in Hamburg
verkündete: „Das Signal des Menschen ist in den
Aufzeichnungen der Lufttemperatur mit einer Irrtums-
wahrscheinlichkeit von nur 5 % entdeckt“!
Was kommt nach dem Kioto-Protokoll
Das Kioto-Protokoll
Schon Ende Juli 1995 hat dann die
Gruppe der leitenden Autoren der Ar-
beitsgruppe I des Zwischenstaatlichen
Ausschusses über Klimaänderungen
(oft UN-Klimarat genannt, meist auch
im Deutschen mit IPCC für Intergovern-
mental Panel on Climate Change ab-
gekürzt) in ihrem zweiten bewertenden
Bericht für die Entscheidungsträger for-
muliert: Insgesamt deuten die Befunde
auf einen Einfluss des Menschen auf
das globale Klima hin.
Im Dezember 1995 bei der abschließen-
den Debatte des UN-Klimarates wurde
daraus:“ The balance of evidence sug-
gests a discernible human influence on
global climate.“
Seither gab es bei fast allen Klimafor-
schern keine wesentlichen Zweifel mehr
daran, dass mindestens große Teile der
seit 1900 beobachteten globalen Er-
wärmung der Luft in Oberflächennähe,
damals ca. 0,6 °C, anthropogen (vom
Menschen stammend) sind. Die Hoch-
rechnungen mit Klimamodellen im er-
sten bewertenden Bericht von 1990, die
für das 21. Jahrhundert eine sehr ra-
sche globale Erwärmung um bis zu 5°C
bei fehlender Reduktion der Emission
langlebiger Treibhausgase lieferten, wa-
ren damit noch glaubwürdiger.
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Im Vergleich zu raschen natürlichen glo-
balen Temperaturänderungen, z.B. bei
dem Ausstieg aus einer intensiven Ver-
eisung, ist die Geschwindigkeit im 21.
Jahrhundert bei fehlender stringenter
Klimapolitik um mindestens den Faktor
40 erhöht. Es ist somit die Geschwin-
digkeit der Klimaänderungen, die nicht
nur die Anpassungsfähigkeit der na-
turnahen Ökosysteme an Land und im
Ozean höchstwahrscheinlich übersteigt,
sondern auch schon im 21. Jahrhundert
den Menschen ein Klima beschert, das
sie noch nie erlebt haben.
Gleichzeitig waren seit 1990 die Kon-
zentrationen der Treibhausgase noch
weiter angestiegen. Auch der sicherer
gewordene Rückblick in der Klima-
geschichte um Hunderttausende von
Jahren zeigte, dass die Erde immer in
Zwischeneiszeiten, wie unserem Ho-
lozän seit ca. 10 000 Jahren, an der
Oberfläche nicht nur um einige Grad
wärmer war, sondern dabei auch die
Konzentrationen der langlebigen Treib-
hausgase der Erdatmosphäre, nämlich
Kohlendioxid, Lachgas und Methan,
wesentlich höher lagen als bei intensi-
ver Vereisung wie zuletzt vor etwa
20 000 Jahren.
Der obige Satz im 2. bewertenden
Bericht des IPCC hat wesentlich zur
Annahme des Kioto-Protokolls am
10. Dezember 1997 bei der dritten
Vertragsstaatenkonferenz der Rahmen-
konvention der Vereinten Nationen über
Klimaänderungen beigetragen.
Dieses Protokoll, dessen „Abrechnung“
der Verpflichtungen für die Industrie-
staaten, den Hauptemittenten, für die
Fünfjahresperiode 2008 bis 2012 un-
mittelbar bevorsteht, hat es trotz aller
Unkenrufe erreicht, dass mit Ausnahme
der Vereinigten Staaten von Amerika
alle Industrienationen (38) mitmachen
und die Minderungsziele von etwa 5
% im Mittel wegen des internationalen
Emissionshandels wohl eingehalten
werden.
Damit ist nach etwa 150 Jahren des
starken Anstiegs der Emissionen der
Hauptemittenten Industrieländer für
diese eine Massenflussbegrenzung ein-
geführt worden, welche die Nutzung der
Atmosphäre als kostenlose Mülldeponie
für die meisten der besonders stark pro
Kopf emittierenden Länder beendet. Im
dritten bewertenden IPCC-Bericht im
Dezember 2000 wagten die Klimafor-
scher einen ersten Schritt in Richtung
Trennung der Beiträge einzelner Ein-
flussfaktoren zur mittleren globalen Er-
wärmung: Während in den vergangenen
50 Jahren der Mensch dominierte, trug
in der ersten Hälfte des 21. Jahrhun-
derts auch die erhöhte Strahlkraft der
Sonne zur Erwärmung mit bei.
Diese Aussage beförderte bei der 7.Ver-
tragsstaatenkonferenz die sogenannten
Marrakesch-Accords, die das Kleinge-
druckte in den Ausführungsbestimmun-
gen des Kioto-Protokolls enthalten, und
die mehreren zögernden Ländern bei
der Ratifizierung des Kioto-Protokolls
halfen, es aber immer noch nicht über
die Hürde „völkerrechtliche Verbind-
lichkeit“ hinwegbrachten. Das gelang
erst mit der Ratifizierung durch die
Russische Föderation am 16. Februar
2005, weil dadurch mehr als 55 % aller
Emissionen der Industrieländer im Jahre
1990 erreicht worden sind, während
das Quorum von 55 Staaten schon viel
eher ratifiziert hatte.Bei der 13. Vertragsstaatenkonferenz
der Konvention und der dritten des
Kioto-Protokolls ist auf Bali im Dezem-
ber 2007 ein Fahrplan bis zur 15. Ver-
tragsstaatenkonferenz in Kopenhagen
verabschiedet worden, dessen Haupt-
punkte sind:
Das Kioto-Protokoll enthält nicht nur
neue politische Instrumente wie den
schon angesprochenen Emissions-
handel, sondern auch die gemeinsame
Umsetzung (joint implementation ) der
Industrieländer, und den „Clean Deve-
lopment Mechanism“, der gemeinsame
Umsetzung zwischen Industrie- und
Entwicklungsländern regelt, sowie den
Fahrplan für ein Nachfolgeprotokoll.
Beginnend im Jahre 2005 soll bis 2009
eine Nachfolgeregelung bei der dann
15. Vertragsstaatenkonferenz unter-
schriftsreif sein.3. Hilfe der Industrienationen bei
der Anpassung an den nicht mehr
vermeidbaren Klimawandel in
Entwicklungsländern,die zum Klima-
wandel nur leicht beigetragen haben,
unter Nutzung von Erträgen aus dem
Emissionshandel.
1. Weit stärkere Emissionsminderungen
für die Industrieländer ( 25-40%, ge-
messen an den Emissionen im Jahre
1990).
2. Integration der Schwellenländer, z.B.
durch die Verpflichtung Wirtschafts-
wachstum teilweise vom steigenden
Energieeinsatz zu entkoppeln.
Dieser Fahrplan ist stark befördert wor-
den durch den vierten bewertenden Be-
richt des IPCC im Jahre 2007, in dem
klar gestellt wird: Von insgesamt bereits
8 anthropogenen Einflussfaktoren sind
die drei wesentlichsten: Erhöhte Kon-
zentration des Kohlendioxids und an-
derer langlebiger Treibhausgase (erwär-
mend), erhöhte Lufttrübung (kühlend)
und erhöhte Helligkeit und Lebensdauer
einer Wolke bei erhöhter Lufttrübung
(kühlend). Die erwärmende Wirkung der
Treibhausgase übertrifft eindeutig die
kühlende Wirkung der Lufttrübung.
Dass die Europäische Union ehrgeizige
und verbindliche Klimaschutzziele bis
2020 mit dem Ratsbeschluss vom 9.
März 2007 aufgestellt hat, der G8-Gip-
fel 2008 eine Emissionsreduktion um 50
% bis zum Jahre 2050 als Ziel errichtet
hat, ist Folge des IPCC-Berichtes 2007
aber auch des Berichtes an die Briti-
sche Regierung durch den ehemaligen
Chefökonomen der Weltbank, Sir Ni-
cholas Stern, der weit geringere Kosten
für Klimaschutz berechnete als für reine
Anpassung, und der im letzteren Fall
eine große Weltwirtschaftskrise vorher-
sah.
Schluß
Der anthropogene Klimawandel ist
ein zentrales Problem des 21. Jahr-
hunderts. Nur eine global koordinierte
Politik - Weltinnenpolitik unter Führung
der Vereinten Nationen - kann diese
Herausforderung meistern. Weil es um
Vieles geht, ist eine teilweise verzerrte
öffentliche Debatte normal. Ich empfeh-
le die Lektüre der Zusammenfassungen
für Entscheidungsträger des IPCC ( im
Internet kostenlos vorhanden), denn sie
wurden von allen Ländern akzeptiert,
von vielen Wissenschaftlern gemein-
sam formuliert und sie unterscheiden
klar zwischen Wissen und noch (besser)
zu Erforschendem.
Prof. Dr. Hartmut Grassl,
Max Planck Institute for Meteorology,
Bundesstrasse 53
D-20146 Hamburg, Germany
umweltjournal 51/2008
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