Das Projekt "Teilprojekt 1" wird vom Umweltbundesamt gefördert und von AMW Nützlinge GmbH durchgeführt. Da zunehmend nachhaltige Bekämpfungsstrategien zur Bekämpfung von Vorratsschädlingen fehlen und sich die wärmeliebende Dörrobstmotte Plodia interpunctella zu einem neuen Problemschädling in Getreidelagern entwickelt hat, soll mit dem vorliegenden Vorhaben der Einsatz ihrer biologischen Gegenspieler optimiert werden. Als Voraussetzung für einen wirksamen Einsatz von Vorratsnützlingen müssen Maßnahmen zur Befallsvermeidung und geeignete Monitoringmethoden in den Betrieben angepasst und etabliert werden. Sie ermöglichen eine Früherkennung des Schädlings und einen präventiven Nützlingseinsatz. In fünf Arbeitspaketen werden die vorhandenen Nützlingssysteme vom Labor bis hin zum Praxisversuch verbessert. Es soll zunächst die Früherkennung der auftretenden Motten optimiert werden. In Laboruntersuchungen werden Trichogramma-Zuchtlinien hinsichtlich einer besonderen Eignung zur Bekämpfung der Eier der Dörrobstmotte und ihrer Temperaturtoleranz für die Anwendung unter heißen Lagerbedingungen im Sommer selektiert. Im Lager wird die Applikationstechnik für Vorratsnützlinge neu angepasst, d.h. sowohl die Ausbringungseinheit als auch die Anwendungsempfehlung (Dosierung, Einsatztermine und räumliche Verteilung). Im Rahmen der Lagerversuche werden neue Schlupfwespen gesucht auf ihre Eignung im biologischen Vorratsschutz getestet. Schließlich werden in zwei Praxisversuchen in Langzeit-Getreidelagern die optimierten Nützlingsprodukte eingesetzt und ihre verbesserte Wirksamkeit überprüft.
Das Projekt "Teilprojekt 2" wird vom Umweltbundesamt gefördert und von Biologische Beratung Limited durchgeführt. Da zunehmend nachhaltige Bekämpfungsstrategien zur Bekämpfung von Vorratsschädlingen fehlen und sich die wärmeliebende Dörrobstmotte Plodia interpunctella zu einem neuen Problemschädling in Getreidelagern entwickelt hat, soll mit dem vorliegenden Vorhaben der Einsatz ihrer biologischen Gegenspieler optimiert werden. Als Voraussetzung für einen wirksamen Einsatz von Vorratsnützlingen müssen Maßnahmen zur Befallsvermeidung und geeignete Monitoringmethoden in den Betrieben angepasst und etabliert werden. Sie ermöglichen eine Früherkennung des Schädlings und einen präventiven Nützlingseinsatz. In fünf Arbeitspaketen werden die vorhandenen Nützlingssysteme vom Labor bis hin zum Praxisversuch verbessert. Es soll zunächst die Früherkennung der auftretenden Motten optimiert werden. In Laboruntersuchungen werden Trichogramma-Zuchtlinien hinsichtlich einer besonderen Eignung zur Bekämpfung der Eier der Dörrobstmotte und ihrer Temperaturtoleranz für die Anwendung unter heißen Lagerbedingungen im Sommer selektiert. Im Lager wird die Applikationstechnik für Vorratsnützlinge neu angepasst, d.h. sowohl die Ausbringungseinheit als auch die Anwendungsempfehlung (Dosierung, Einsatztermine und räumliche Verteilung). Im Rahmen der Lagerversuche werden neue Schlupfwespen gesucht auf ihre Eignung im biologischen Vorratsschutz getestet. Schließlich werden in zwei Praxisversuchen in Langzeit-Getreidelagern die optimierten Nützlingsprodukte eingesetzt und ihre verbesserte Wirksamkeit überprüft.
Das Projekt "Teilprojekt 3" wird vom Umweltbundesamt gefördert und von Universität Hohenheim, Institut für Zoologie, Fachgebiet Tierökologie durchgeführt. Ein Hauptschädling in gelagertem Getreide ist der Kornkäfer Sitophilus granarius. Da zunehmend nachhaltige Bekämpfungsstrategien zur Bekämpfung von Vorratsschädlingen fehlen, soll mit dem vorliegenden Vorhaben der Einsatz ihrer biologischen Gegenspieler optimiert werden. Als Voraussetzung für einen wirksamen Einsatz von Vorratsnützlingen müssen Maßnahmen zur Befallsvermeidung und geeignete Monitoringmethoden in den Betrieben angepasst und etabliert werden. Sie ermöglichen eine Früherkennung des Schädlings und einen präventiven Nützlingseinsatz. In fünf Arbeitspaketen werden in dem Projektverbund die vorhandenen Nützlingssysteme (Lagererzwespen) vom Labor bis hin zum Praxisversuch grundlegend verbessert. Es soll zunächst die Früherkennung der auftretenden Kornkäfer optimiert werden. In Laboruntersuchungen werden Nützlingslinien hinsichtlich ihrer Temperaturtoleranz für die Anwendung unter heißen Lagerbedingungen im Sommer selektiert. Für die Lagererzwespe gegen den Kornkäfer wird eine Zuchtbox für eine kontinuierliche Freilassung optimiert. Zusätzlich werden in Lagern weitere neue Nützlinge gesucht und auf ihre Eignung im biologischen Vorratsschutz getestet. Schließlich werden in Praxisversuchen in Langzeit-Getreidelagern die neu ausgewählten Zuchtlinien der Nützlinge eingesetzt und auf ihre Wirksamkeit überprüft. Der Nützlingseinsatz, der andersweitig im Vorratsschutz bereits praktiziert wird, soll zukünftig auch in Getreidelagern mit Langzeitlagerung etabliert werden, um eine biologische Nahrungsmittelproduktion im Sinne des Verbraucherschutzes zu unterstützen.
Das Projekt "Neue Verfahren der optischen Früherkennung und der schadstofffreien Bekämpfung von Vorratsschädlingen mit Laserstrahlen (Insektenlaser) - Teilprojekt 2" wird vom Umweltbundesamt gefördert und von Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration durchgeführt. Im Projekt wird geprüft, ob sich die Lasertechnik in Verbindung mit automatisierter Bilderkennung für den Vorratsschutz eignet. Die per Kamera gewonnenen Bildinformationen der Oberflächen werden mit zuvor in einer Datenbank gespeicherten Merkmalen von Schädlingen aus Referenzbildern verglichen. Im Ergebnis des dann vorliegenden Bildvergleichs kann das Auftreten des Schädlings mit einem Wahrscheinlichkeitswert angegeben werden. Ergänzend wird überprüft, ob eine Einzelbekämpfung auftretender Schädlinge mittels Laserstrahl möglich ist. Die transformierten Koordinaten der Kameraüberwachung werden an einen Schwingspiegel weitergegeben und dieser entsprechend angesteuert. Nach Positionierung des Spiegels wird ein Laserimpuls ausgelöst, wobei der Schädling durch die Strahlenleistung (größer als 500 mW) und die damit einhergehende schnelle Temperaturerhöhung (größer als 80 Grad Celsius) abgetötet wird. Dabei gilt es, durch kurze Impulsdauer und hohe Leistung des Lasers eine Schädigung der darunterliegenden Vorräte oder Oberflächen zu vermeiden.
Das Projekt "Bekämpfung von Vorratsschädlingen in gelagertem Bio-Getreide durch Stickstoffbegasung" wird vom Umweltbundesamt gefördert und von Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Landtechnik durchgeführt. In einem Großversuch wird die Wirkung einer Inertgasbehandlung mit Stickstoff in einer nicht gasdichten Betonsilozelle zur Bekämpfung des Kornkäfers (Sitophilus granarius), des Getreideplattkäfers (Oryzaephilus surinamensis) und des Reiskäfers (Sitophilus oryzae) in gelagertem Bio-Roggen geprüft. Ziel des Versuches sind (i) die Ermittlung des Wirkungsgrades der Inertgasbehandlung gegen die drei vorratsschädigenden Käferarten, (ii) die Ermittlung des Stickstoffverbrauchs zur Aufrechterhaltung einer permanenten Stickstoffatmosphäre von mind. 98% und (iii) die Berechnung der Dimensionierung eines Stickstoffgenerators zur Fixinstallation im Lagerhaltungsbetrieb.
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 737–748 60 Bearbeitet von Wolfgang Bäse (1. Fassung, Stand: August 2019) Einführung Zu den Blattkäfern gehören die artenarmen, stam- mesgeschichtlich ursprünglichen Familien Mega- lopodidae und Orsodacnidae sowie die viele Arten umfassende Familie der Chrysomelidae. Die ehema- lige Familie der Samenkäfer (Bruchidae) zählt jetzt als Unterfamilie (Bruchinae) zu den Chrysomelidae. Während in der letzten Roten Liste (Bäse 2004) nur die Unterfamilie Donaciinae bearbeitet worden ist und bei der jüngst erschienenen Bestandssituation der Blattkäfer (Bäse 2016a) noch die Unterfamilie Bruch- inae gefehlt hat, werden hier alle in Sachsen-Anhalt vorkommenden Blattkäferarten berücksichtigt. Die Blattkäfer sind in Deutschland mit 543 Arten (Bleich et al. 2018) vertreten. In Sachsen-Anhalt wur- den bisher 414 Arten, davon 21 Vertreter der Samen- käfer, nachgewiesen. Blattkäfer leben phytophag und fressen als Larven bzw. Imagines meist an krautigen Pflanzen, einige bevorzugen die Blätter von Bäumen bzw. Sträuchern oder Gräsern. Dabei werden die Blätter entweder vom Rand her oder durch Loch- bzw. Fensterfraß beschä- digt. Andere Arten fressen Samen, minieren in Stän- geln oder Wurzeln, wenige fressen Pollen bzw. Nektar. Manche Larven zeigen ein außergewöhnliches Verhal- ten. So leben die Larven der Schilfkäfer im Wasser an den Wirtspflanzen und verpuppen sich dort in einem Kokon, die Sackkäfer entwickeln sich bei Ameisen. Die Larven der Schildkäfer tragen ihre Exkremente zum Schutz vor Feinden auf dem Rücken. Nur wenige Blattkäfer sind durch ihre wirtschaft- liche Bedeutung allgemein bekannt. Hierzu gehören der Kartoffelkäfer, der Rübenschildkäfer, Kohlerdflöhe, Spargel-, Getreide- und Lilienhähnchen sowie einige Samenkäfer, die Vorratsschädlinge sind. Viele seltene Blattkäfer sind hochspezialisiert und leben nur in Gebieten mit längerer Biotoptradition. Hier besetzen sie oft spezielle Nischen. Neben der oft engen Wirtspflanzenbindung sind hierfür auch klima- tische Faktoren entscheidend. Viele Arten sind Wärme liebend, andere nur in bestimmten Feuchtgebieten, Mooren oder an Salzstellen zu finden. Aktuelle Angaben zu den in der älteren Literatur mitunter fehlerhaften Fraßpflanzen und Fotos der heimischen Blattkäfer findet man bei Rheinheimer & Hassler (2018). Die Verbreitung der Arten kann im Ver- zeichnis der Käfer Deutschlands (Bleich et al. 2018) eingesehen werden. Blattkäfer (Coleoptera: Megalopodidae, Orsodacnidae et Chrysomelidae) Datengrundlagen Für die Erstellung der Roten Liste konnten mehr als 50.000 Datensätze zu Blattkäfern ausgewertet wer- den. Eine wesentliche Grundlage bilden folgende Ver- öffentlichungen: Borchert (1937, 1951), Dietze & Schor- nack (1999), Eggers (1901), Esser (2001), Feige (1918), Feige & Kühlhorn (1924), Fritzlar (1996, 2001a, 2001b, 2003, 2005, 2009), Geiter (1989), Gruschwitz (2003), Jung (1998, 2001, 2007, 2012, 2014), Koch (2006), Köh- ler (2000), Kubiak (2009), Lange & Kubiak (2017), Liebmann (1955), Mohr (1977, 1985), Rapp (1934), Scholze (2007), Schreiber (1897), Strobl (2007), Wahnschaffe (1883), Wendt (1986) und die im Text genannten Arbeiten des Autors. Einbezogen wurden auch Recherchen in fol- genden Sammlungen: Coll. Baumgarten, Coll. Borrmann, Coll. Francke, Coll. Heidenreich, Coll. Nebel, Coll. Rudolph und Coll. Wallis im Museum für Naturkunde und Vor- geschichte Dessau, Coll. Fritsche, Coll. Grebenscikov, Coll. Köller, Coll. Knobbe, Coll. Rosenbaum und Coll. Schnitter im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Samm- lungen der Martin-Luther-Universität Halle, Coll. Borchert im Museum für Naturkunde Magdeburg und die Coll. Mohr im Senckenberg Deutschen Entomolo- gischen Institut Müncheberg. Berücksichtigt wurden weiterhin Belege in folgenden Privatsammlungen: Coll. Dammer (Kropstädt), Coll. Dietze (Käbschütztal), Coll. Esser (Berlin), Coll. Fritzlar (Jena), Coll. Geiter (Staß- furt), Coll. Gruschwitz (Staßfurt), Coll. Heinig (Berlin), Coll. Jung (Athenstedt), Coll. Lehmann (Oranienbaum), Coll. Malchau (Schönebeck), Coll. Niess (Aulosen), Coll. Pannicke (Leipzig), Coll. Richter (Stendal), Coll. Schmiedt- chen (Weißandt-Gölzau), Coll. Schöne (Dessau), Coll. Scholze (Gernrode), Coll. Sprick (Hannover), Coll. Stolle (Rottleberode), Coll. Strobl (Stendal) und die des Au- tors Coll. Bäse (Lutherstadt Wittenberg). In die Auswertung einbezogen wurden auch die das Bundesland betreffenden Einträge aus dem Pro- gramm CHRYFAUN (Schmitt et al. 2014) und Daten aus Untersuchungen und Gutachten des Nationalparks Harz (Nationalparkverwaltung Harz 2018, Sprick 2015). Sowohl die Bestandserfassung in ausgewählten Gebieten durch Mitglieder der Entomologen-Vereini- gung Sachsen-Anhalt (EVSA 2005, Bäse 2009, 2013b, 2015b, 2018) als auch die Untersuchungen von Mit- arbeitern des Landesamtes für Umweltschutz (LAU) und deren Auswertung durch Manfred Jung haben in den letzten Jahren einen deutlichen Kenntniszuwachs gebracht. Dennoch ist in einigen Gebieten, besonders im Norden Sachsen-Anhalts, die Datenlage nach wie vor unbefriedigend. Auch bleibt zu berücksichtigen, dass die vollständige Sichtung und Überprüfung der 737 Blattkäfer historischen Sammlungen in den Museen noch nicht abgeschlossen ist. Die Bestimmung erfolgt in der Regel mit den Bänden 9 (Mohr 1966) und 14 (Kippenberg 1994) der Reihe „Die Käfer Mitteleuropas“. Die Nomenklatur orientiert sich an Löbl & Smetana (2010) und Bleich et al. (2018) mit folgenden Ausnahmen: Einerseits ist eine Trennung von Plateumaris rustica und Plateuma- ris affinis noch nicht vorgenommen worden, anderer- seits erfolgt in dieser Arbeit eine Angabe der Unterart nur dann, wenn es sich nicht um die nominotypische Variante handelt. Als ausgestorben oder verschollen werden in die- ser Roten Liste alle Arten angesehen, von denen nach dem Jahr 1970 keine Nachweise vorliegen. Bemerkungen zu ausgewählten Arten Seit dem Ende der Recherchen für die Checklisten der Blatt- und Samenkäfer (Bäse 2016a, 2016b) hat sich die Anzahl der für Sachsen-Anhalt bekannten Arten weiter erhöht. So sind Altica impressicollis (Bäse 2013a), Aphthona nigriscutis (Esser in litt.), Cassida leucanthemi und Zeugophora frontalis (Bäse & Bäse 2013), Chaetocnema tibialis und Longitarsus tristis (Jung 2014), L. dorsalis und L. strigicollis (Jung in litt.), L. nigerrimus (Bäse 2017a) und Megabruchidius dorsalis (Bäse & Bäse 2018) neu entdeckt worden. Auch durch die inzwischen eingearbeitete Trennung von Plateu- maris discolor und P. sericea erhöht sich die Zahl der bekannten Arten. Neben dem bekannten Kartoffelkäfer Leptinotarsa de- cemlineata (Say, 1824) werden auch andere Neozoen bzw. Schädlinge, wie die Samenkäfer Acanthoscelides pallidipennis (Motschulsky, 1874) und Megabruchidius dorsalis (FÅhraeus, 1839) sowie Chaetocnema tibialis (Illiger, 1807) und weitere Arten nicht bewertet. Der Erbsenkäfer Bruchus pisorum wird hingegen in die Rote Liste aufgenommen, da die Art durch Verände- rungen beim Anbau und der Lagerung von Erbsen in Deutschland nur noch selten gefunden wird (Bäse 2016b). Longitarsus dorsalis (Fabricius, 1781) wird hier nicht aufgenommen, da es sich um eine in Ausbreitung befindliche Art handelt, die neben den klimatischen Veränderungen auch von der Expansion des Neophyten Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens DC.) profitiert. Cassida seladonia Gyllenhal, 1827 Dieser Schildkäfer wurde aktuell (nach dem Jahr 2000) nur in Baden, Hessen, Sachsen und Sachsen- Anhalt (Bäse 2013c) gefunden und ist deshalb auch in der aktuellen Roten Liste Deutschlands (Fritzlar et al., im Druck) in die Gefährdungskategorie 1 eingestuft. Die Entwicklung erfolgt in der Regel an Acker-Filz- kraut (Filago arvense L.). Chaetocnema confusa (Boheman, 1851) Die Art konnte nach über 100 Jahren wieder nach- gewiesen werden (Bäse 2015a). Die Tiere leben in Kleinseggenrieden und Mooren oligophag an Sauer- gräsern (Cyperaceae) und sind vornehmlich durch die Entwässerung ihrer Lebensräume bedroht. Cheilotoma musciformis (Goeze, 1777) Eine anspruchvolle, Wärme liebende Art, die in Deutschland einen Verbreitungsschwerpunkt in den Trockengebieten Mitteldeutschlands hat, ist C. musci- formis. Die an zahlreichen Bäumen, Sträuchern und krautigen Pflanzen lebenden Käfer werden von Mai bis Juli gefunden. Chrysolina purpurascens (Germar, 1822) Bislang nur in den Jahren 1930, 1977, 1990 und 2010 in Sachsen-Anhalt nachgewiesen, lebt der an Taub- nessel (Lamium spp.) und Ziest (Stachys spp.) fressen- de Blattkäfer im Harz. Chrysochus asclepiadeus (Pallas, 1773) Der Blaue Schwalbenwurz-Blattkäfer gehört mit ca. 9 mm zu den großen heimischen Blattkäfern. Er lebt an Schwalbenwurz (Vincetoxicum hirundinaria Me- dik.). Seine nördliche Verbreitungsgrenze ist Sachsen- Anhalt. Weitere aktuelle Vorkommen in Deutschland sind nur aus Baden-Württemberg und Thüringen bekannt (Bleich et al. 2018). Cryptocephalus distinguendus H. D. Schneider, 1792 Dieser Fallkäfer wurde in Deutschland bisher nur selten gefunden. Die Nachweise im östlichen Sach- sen-Anhalt bilden zurzeit die nördliche Arealgrenze in Deutschland. Die Tiere leben an Moor-Birke (Betula pubescens Ehrh.) und Hänge-Birke (Betula pendula Roth). Abb. 1: Cassida canaliculata ist ein Schildkäfer, der an Wiesensalbei (Salvia pratensis L.) lebt. Die Art ist in Sachsen-Anhalt verschollen. Abb. 2: Chrysolina cerealis konnte nach 1985 nur einmal im Sachsen-Anhalt nachgewiesen werden. Die Art lebt oligophag an Lippenblüten- gewächsen (Lamiaceae). Abb. 3: Donacia tomentosa konnte trotz intensiver Suche nicht mehr in Sachsen-Anhalt gefunden werden. Der letz- te bekannte Nachweis stammt aus dem Jahr 1933. Abb. 4: Labidostoma humeralis ist eine Wärme liebende Art sonniger Offenbiotope, von der nur wenige Nachweise bekannt sind. Abb. 5: Lachnaia sexpunctata schmarotzt als Larve in Ameisenbauten und wurde 1999 letztmalig in Sachsen-Anhalt gefunden. Abb. 6: Longitarsis nigerrimus lebt an Wasserschlauchgewächsen (Lentibulariaceae) und wurde erstmals 2016 in Sachsen-Anhalt nachgewiesen. Abb. 7: Spermophagus calystegiae entwickelt sich in den Samen von Windengewächsen (Convolvulaceae). Abb. 8: Zeugophora flavicollis gehört zur stammesgeschichtlich ursprünglichen Familie der Megalopodidae und wird meist an Zitterpappel (Populus tremula L.) gefunden (Fotos: F. Köhler). 738 Blattkäfer 12 34 56 78 739
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 501–504 30 Ohrwürmer (Dermaptera) Bearbeitet von Michael Wallaschek unter Mitarbeit von Björn Schäfer und Roland Schweigert (3. Fassung, Stand: Dezember 2018) zeigt sich die heimische wildlebende Ohrwurmfauna zudem in ihrer Zoogeographie und Ökologie erstaun- lich vielfältig (Wallaschek 1998). Die zoo- oder pantophage Ernährungsweise hat Untersuchungen zum Einsatz von Dermapterenarten, darunter auch heimischen, für die biologische Schäd- lingsbekämpfung angeregt (Caussanel & Albouy 1991). In der Kleingartenpraxis wird der bekannte Gemeine Ohrwurm, Forficula auricularia L., 1758, mancherorts bereits in diesem Sinne gefördert. Gelegentlich mag er aber auch als Pflanzen- oder Vorratsschädling, Läst- ling und in seltenen Fällen durch Verschleppen von Krankheitserregern der Kulturpflanzen und des Men- schen in Erscheinung treten (Beier 1959). Nicht unerwähnt soll bleiben, dass den heimi- schen Dermapterenarten, -faunen und -taxozönosen Zeigerfunktion für die Landschaftsstruktur, den Grad des anthropogenen Einflusses und einzelne ökologi- sche Faktoren zukommen kann. Somit lassen sie sich durchaus im Rahmen der Bioindikation in der Land- schaftsplanung einsetzen (Wallaschek 1998). Einführung Die ersten Funde von Ohrwürmern datieren aus dem Erdmittelalter. Im erdneuzeitlichen Bitterfelder Bern- stein finden sich Dermaptera aus der Familie Forfi- culidae, die auch heute in Sachsen-Anhalt Vertreter besitzt. Die weltweit etwa 1.300 rezenten Ohrwurm- arten (Günther 2000) sind Dämmerungs- und Nacht- tiere, die zugleich eine hohe Luftfeuchtigkeit verlan- gen. Sie bevorzugen Schlupfwinkel, in denen sie mit möglichst vielen Körperseiten oder -stellen Kontakt mit dem umgebenden Substrat haben. Angegriffen, wehren sie sich durch Kneifen mit den für dieses Taxon charakteristischen Zangen und durch Absonde- rung eines die Haut ätzenden Sekretes. Aktuell sind aus Deutschland zehn sich hier fort- pflanzende Ohrwurmarten bekannt, davon sieben wildlebende indigene und drei synanthrope, zu- mindest zeitweilig etablierte (Matzke & Köhler 2011, Matzke & Neumann 2017). Angesichts dieser geringen Artenzahl sowie der auf Ekel und Angst beruhenden Einstellung vieler Menschen diesen Tieren gegenüber kann das mangelnde Interesse an den Dermapteren nicht verwundern. Allerdings hat sich herausgestellt, dass heimische Ohrwurmarten in bestimmten Lebensräumen zu den dominanten Tierarten oder -gruppen hinsichtlich Siedlungsdichte und Biomasse gehören können (Ellen- berg et al. 1986). Von einzelnen Dermapterenarten ist bekannt, dass sie sehr spezielle ökologische Ansprü- che besitzen (Harz 1957). Bei genauerer Betrachtung Datengrundlagen Zur Dermapterenfauna Sachsen-Anhalts zählen nach bisheriger Kenntnis fünf Arten (Wallaschek et al. 2004, Wallaschek 2013, 2016). Diese Arbeiten enthalten die aktuelle Checkliste sowie die Liste der faunistischen Primärliteratur und wichtiger Beiträge der Sekundär- literatur über die Ohrwürmer in Sachsen-Anhalt. Die Systematik und Nomenklatur der Dermaptera richtet sich im Folgenden nach Harz & Kaltenbach (1976) und Klaus (2010). Hinsichtlich der deutschen Namen fol- gen wir Harz (1957). Für die Synonyma wird auf Zacher (1917), Harz (1957) und Harz & Kaltenbach (1976) ver- Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Ohrwürmer Sachsen-Anhalts. Gefährdungskategorie Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) 0 - - R - - 1 - - 2 1 20 3 - Rote ListeGesamt 1 205 Tab. 2: Änderungen in der Anzahl der Einstufungen in die Gefährdungskategorien im Vergleich der Roten Listen der Ohrwürmer Sachsen- Anhalts in den Jahren 2004 und 2020. Gefährdungskategorie 0 – Ausgestorben oder verschollen R – Extrem seltene Arten mit geographischer Restriktion 1 – Vom Aussterben bedroht 2 – Stark gefährdet 3 – Gefährdet Gesamt Rote Liste 2004 (AZ = 5) (absolut) (%) - - - - - - 1 20,0 - - 1 20,0 Rote Liste 2020 (AZ = 5) (absolut) (%) - - - - - - 1 20,0 - - 1 20,0 501 Ohrwürmer Abb. 1 & 2: Der Sand-Ohrwurm (Labidura riparia) bewohnt fast vegetationslose, gut durchwärmte, oberflächlich schnell abtrocknende Sandflächen an Flussufern und auf Binnendünen, heute meist in Braunkohletagebauen, Sandgruben und Truppenübungsplätzen; sie ist be- sonders durch Rekultivierung, Flutung und Sukzession der Lebensräume bedroht. – 1: Männchen (Zangen mit erhabenem Innenzahn); die Tiere sind individuell sehr variabel gefärbt (Foto: D. Rolke) – 2: Weibchen (Zangen ohne erhabenen Innenzahn). 25.8.2013, Tagebau-Restloch Domsen bei Hohenmölsen/Sachsen-Anhalt (Foto: D. Klaus). wiesen. Die letzten beiden Bücher sowie Götz (1965) sind wichtige Bestimmungswerke. Bemerkungen zu ausgewählten Arten, Gefähr- dungsursachen und Schutzmaßnahmen Die meisten Ohrwurmarten Sachsen-Anhalts, nämlich Labidura riparia (Pallas, 1773), Labia minor (L., 1758) und Forficula auricularia L., 1758, sind kosmopolitisch verbreitet. Chelidurella guentheri Galvagni, 1994 und Apterygida media (Hagenbach, 1822) sind hingegen 502 auf Europa beschränkt (Harz 1960, Harz & Kaltenbach 1976). Da sich der faunistische Kenntnisstand über die heimischen Dermapterenarten deutlich verbessert hat (Wallaschek 2013), kann eingeschätzt werden, dass die letzten vier Arten in Sachsen-Anhalt verbreitet bis sehr weit verbreitet vorkommen und nicht bestandsgefähr- det sind (Wallaschek 2016). Obschon der Sand-Ohrwurm, Labidura riparia, kosmopolitisch verbreitet ist, reicht er in Europa nördlich der Alpen lediglich bis zur Nord- und Ost- see und ist in Deutschland aktuell nur selten (Harz Ohrwürmer & Kaltenbach 1976, Matzke & Köhler 2011). In Mittel- deutschland häuften sich aber in letzter Zeit durch die Intensivierung der Beobachtungstätigkeit Funde aus Braunkohletagebauen, Kies- und Sandgruben sowie Truppenübungsplätzen (Matzke & Klaus 1996, Wallaschek 1999). In Sachsen-Anhalt wird die Art ebenfalls schon seit langem hauptsächlich in solchen Sekundärlebensräumen gefunden (Wallaschek 2000), doch liegen z. B. vom Elbufer oder von Binnendünen Beobachtungen vor (Wallaschek 2013). Labidura riparia lebt im Allgemeinen in fast vege- tationslosen, gut durchwärmten, oberflächlich schnell abtrocknenden Sandflächen. Häufig, aber bei weitem nicht immer, weisen die Flächen einen hohen Grund- wasserspiegel (oft Gewässerufer) oder eine höhere Bodenfeuchtigkeit über stauenden Schichten auf. In solchen Plätzen hält sich der Sand-Ohrwurm unter Steinen, Holzstücken, Blech- und Plastteilen etc. auf, wo sich eine höhere Feuchtigkeit als in der Umgebung einstellt und auch bestehen bleibt (Wallaschek 1999). Weidner (1941) nimmt als pleistozäne Refugialräume des Sand-Ohrwurmes Südwest- und Osteuropa an. Die postglaziale Rückwanderung in den nord- und mittel- deutschen Raum sei entlang der Urstromtäler, in die sich auch das Elbtal einordnet, erfolgt. Heute spielt wohl für die Ausbreitung der Art, insbesondere bei der Besiedlung von Sekundärlebensräumen, Anthropocho- rie eine große Rolle (Wallaschek 1999). Durch den Mangel an natürlicher Flussdynamik werden heute nur im Ausnahmefall neue primäre Tro- ckenbiotope in den Flusstälern des Landes geschaf- fen, die den Ansprüchen von Labidura riparia genü- gen. Auf solche Lebensräume wird beim Flussausbau bisher wohl kaum Rücksicht genommen. Die Sekundärlebensräume des Sand-Ohrwurmes verlieren durch Vermüllung, Rekultivierung (Auffors- Art (wiss.) Labidura riparia (Pallas, 1773) tung, Ansaat von Grasmischungen), Flutung, Aufga- be oder Reduzierung der militärischen Nutzung und natürliche Sukzession der Pflanzenbestände schnell an Wert für die Art. So gingen im letzten Jahrzehnt durch mangelnde Kenntnis oder Rücksichtnahme sowie das Fehlen geeigneter Schutz- und Pflegemaß- nahmen zunehmend Lebensräume verloren. Zudem schafft der Braunkohlenbergbau in Sachsen-Anhalt bei weitem nicht mehr so viele Sekundärlebensräume wie im letzten Jahrhundert. Deshalb ist zu befürch- ten, dass viele verbliebene Sand-Ohrwurm-Bestände in den nächsten Jahrzehnten verschwinden. Daher sollte die natürliche Flussdynamik geför- dert und die Erhaltung der Sandufer und von Sand- bänken ebenso gewährleistet werden wie die von Binnendünen. Bepflanzung solcher Flächen ist zu unterlassen. Auf den Flussausbau muss soweit wie möglich verzichtet werden. Die Sekundärlebensräume sollten möglichst vor Vermüllung, Aufforstung und Ansaat von Gras- mischungen geschützt werden. Stehen ausreichend Flächen zur Verfügung, wie z. B. auf Truppenübungs- plätzen, in großen teilweise aufgelassenen Sandgru- ben oder in Naturschutzgebieten, kann durch umlau- fendes abschnittsweises Abschieben des Oberbodens Erhaltungspflege betrieben werden. Auch kleinere Sekundärlebensräume sollten naturschutzrechtlich gesichert und durch Pflege oder besser Nutzung (z. B. Austrag kleiner Mengen von Sand für gemeindliche Zwecke wie Wegebau) erhalten werden. Danksagung Für die informativen Fotos in dieser Arbeit wird Dr. Daniel Rolke, Landsberg, und Dietmar Klaus, Rötha, sehr herzlich gedankt. Art (deutsch) Sand-Ohrwurm Kat. 2 Bem. V, A Nomenklatur nach Harz & Kaltenbach (1976) und Klaus (2010). Abkürzungen und Erläuterungen, letzter Nachweis/Quelle (Spalte „Bem.“) V – Verbreitungsschwerpunkt in Sachsen-Anhalt A – Arealrand Literatur Beier, M. (1959): Ordnung: Dermaptera (Degeer 1773) Kirby 1813. – In: Dr. H. G. Bronns Klassen und Ord- nungen des Tierreichs, 5. Bd: Arthropoda, III. Abt.: Insecta, 6. Buch, 3. Lieferung, Orthopteroidea. – Geest & Portig K.-G., Leipzig: 455 –585. Caussanel, C. & V. Albouy (1991): Dermapteres de France, ravageurs et auxiliaires. – Bull. Soc. zool. Fr. 116: 229 –234. Ellenberg, H., Mayer, R. & J. Schauermann (Hrsg.) (1986): Ökosystemforschung. Ergebnisse des Sollingpro- jekts 1966 –1986. – Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart. Götz, W. (1965): Orthoptera, Geradflügler. – In: Brohmer, P., Ehrmann, P. & G. Ulmer: Die Tierwelt Mitteleuropas. – Quelle & Meyer, Leipzig. Günther, K. (2000): Ordnung Dermaptera – Ohrwür- mer. – In: Urania-Tierreich. Insekten. – Urania-Ver- lag, Berlin: 73 – 80. 503
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 705–709 56 Bearbeitet von Sebastian Schornack, Ringo Dietze und Manfred Jung * unter Mitarbeit von Wolfgang Bäse, Holger Breitbarth, Klaus Graser, Wolfgang Gruschwitz, Manfred Jung, Torsten Pietsch, Andreas Rössler, And- reas Schöne, Peter Strobl, Günther Schumann, Gerhard und Richard Wahn und Thomas Wolsch (2. Fassung, Stand: August 2019) * Aktualisierung Einführung Die allgemeine Bekanntheit der Schwarzkäfer außer- halb der Spezialistenkreise beruht besonders auf der Tatsache, dass einige Vertreter gefürchtete Vorrat- schädlinge sind (Tenebrio molitor, Tribolium-Arten). Obwohl meist düster gefärbt, sind nicht alle Schwarz- käfer schwarz, vielmehr enthält die Gruppe eine Vielzahl Arten uneinheitlicher Form und Färbung. Es scheint, als ob in dieser Käferfamilie einige „Doppel- gänger“ anderer nicht verwandter Käfergruppen versammelt sind. Die Familie Tenebrionidae ist mit etwa 20.000 Arten die fünftgrößte Käferfamilie weltweit. Der Schwerpunkt ihrer Verbreitung liegt in trockeneren, wärmeren Gebieten. Für Deutschland sind rezent 89 Arten registriert, in Sachsen-Anhalt kommen 67 Ar- ten vor. Dabei sind die beiden Arten Myrmechixenus vaporariorum Guérin-Méneville und M. subterraneus Chevrolat erst kürzlich aus der Familie Colydiidae (Rin- denkäfer) in die Familie Tenebrionidae eingegliedert worden (Schawaller 1998). Die Alleculidae (Blüten- mulmkäfer) sowie die beiden Arten der Gattung Lag- ria (Lagriidae/Wollhaarkäfer) gehören nach neuester Nomenklatur ebenfalls zu den Schwarzkäfern. Typische Bestimmungs-Merkmale sind die durch die vorgezogenen Wangen nierenförmigen Augen, das bei einigen Arten vorhandene Mukro (eine zipfel- förmige Verlängerung der Flügeldecken an der Naht, z.B. Blaps lethifera, Stenomax aeneus). Die Fühler sind relativ dick und perlschnurartig. Zahlreiche Arten sind durch Verwachsung der Elytren flugunfähig. Schwarzkäfer sind meist ausgesprochene Spezialis- ten. Es werden zahlreiche ökologische Nischen be- siedelt. Die Käfer leben im Holz (Corticeus fasciatus), Pilzen (Eledona agricola, Diaperis boleti, Bolitophagus reticulatus, Platydema violaceum), sind Bewohner von Ameisennestern (Myrmechixenus subterraneus) oder von Grassteppen (Melanimon tibiale, Pedinus femoralis, Opatrum sabulosum), salzbeeinflussten Dünen (Phaleria cadaverina, Phylan gibbus), leben in faulenden Pflanzenstoffen (Alphitophagus bifasciatus, Pentaphyllus testaceus) und in trockenen, stärkerei- Schwarzkäfer (Coleoptera: Tenebrionidae) chen Substraten (meist synanthrop, Lagerschädlinge, s.u.). Einige Arten sind aufgrund ihrer engen Habitat- bindung selten bzw. nur sehr selten nachweisbar (Tenebrio opacus, Platydema dejeanii, Corticeus sp.). Larven und Imagines sind meist Allesfresser, einige Arten leben räuberisch, andere sind myceto- phag oder phytodetritophag. Zu den Vorratsschäd- lingen zählen sowohl heimische Vertreter als auch Tiere anderer Faunenkreise, die mit dem Handel eingeschleppt worden sind (Tribolium destructor, Latheticus oryzae, Gnatocerus cornutus) und sich zeit- weise oder dauerhaft etabliert haben. In ihrer natür- lichen Umgebung sind die Tiere selten und hier meist unter trockener Borke im Holzmehl zu finden (z.B. Tribolium castaneum, T. confusum). Da sie aufgrund ihrer Lebensweise bei Bedrohung der natürlichen Lebensräume die Rückzugsmöglichkeit der Vorrats- lager haben, kann eine landesweite Gefährdung nicht eingeschätzt werden, auch werden als Vorratsschäd- linge geltende Arten generell nicht in Rote Listen aufgenommen. Folgende Arten werden deshalb nicht berücksichtigt: Tribolium madens, T. castaneum, T. de- structor, T. confusum, Gnatocerus cornutus, Latheticus oryzae sowie Tenebrio molitor. Der anscheinend einzige rezente Fund von G. cor- nutus nach 1950 erfolgte am 31.3.1979 in Athenstedt bei Halberstadt, hier wurde totes Exemplar in einem frischen Brötchen aus der ortsansässigen Bäckerei gefunden. L. oryzae, der Indische Reiskäfer, ist mittler- weile aus fast allen Regionen Deutschlands gemeldet, was auf eine dauerhafte Einbürgerung schließen lässt. In der Lichtfalle des Autors in Athenstedt erscheinen seit dem Jahre 2007 ziemlich regelmäßig Käfer, bisher insgesamt fast 50 Exemplare, sobald die Temperaturen tagsüber mindestens 28 Grad Celsius betragen und auch nachts nicht unter 20 Grad fallen. Anscheinend werden solch hohe Temperaturen benötigt, damit die Käfer ihre geschützten Bruthabitate verlassen. Interessant erscheint der Umstand, dass G. cor- nutus sowie drei der vier zu den Vorratsschädlingen zählenden Tribolium-Arten (außer T. castaneum) in Sachsen-Anhalt (und teils auch in vielen anderen deutschen Regionen) in den letzten dreißig bis vier- zig Jahren nicht nachgewiesen wurden. Hier scheint die Rückzugsmöglichkeit in Vorratslager nicht mehr zu greifen, da sich durch Wegfall vieler potenziel- ler Lagerstätten für Mehl und andere stärkehaltige Produkte und eine stark verbesserte Lagerhygiene die Existenzgrundlage dieser Arten drastisch verschlech- tert. Es ist also durchaus nicht abwegig, dass sie Ihren Status als Vorratsschädlinge zumindest in Deutsch- land verlieren und zukünftig als verschollen oder aus- gestorben gelten werden. 705 Schwarzkäfer Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Schwarzkäfer Sachsen-Anhalts. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) Gefährdungskategorie R 1 2 - 8 6 - 13,3 10,0 0 7 11,7 Rote ListeGesamt 30 50,060 Sonstige GesamtGesamt 3 5,060 3 8 13,3 Tab. 2: Übersicht zu den sonstigen Kategorien. Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) G - - Kategorien D 1 1,7 12 34 V 2 3,3 Abb. 1: Blaps lethifera lebt sowohl synantrop als auch im Freiland und ist doch Veränderungen im Siedlungs- und Ackerbau stark rückläufig. (Foto: F. Köhler). Abb. 2: Laena viennensis als Präglazialrelikt der Ostalpen und des Balkans wurde im Fallstein bei Osterwieck als neue Art für Deutschland nachgewiesen (Foto: F. Köhler). Abb. 3: Mycetochara humeralis entwickelt sich in morschem Laubholz und ist bei uns nur sehr selten anzutreffen (Foto: P. Bornand). Abb. 4: Omophlus pubescens ernährt sich als Larve, wie die anderen Arten der Gattung, subterran von Pflanzenwurzeln. Die Imagines sind auf Blüten zu finden (Foto: P. Bornand). Datengrundlagen Aus Sachsen-Anhalt sind durch historische Daten (besonders Rapp 1934, Horion 1956, Borchert 1951) zahlreiche Arten belegt, wobei sowohl Horion als auch Borchert teilweise auf die Daten von Rapp verweisen. Schwarzkäfer wurden zwar oft als Bei- oder Zu- fallsfänge gesammelt, jedoch liegen im Vergleich zu anderen gut bearbeiteten Artengruppen (Laufkäfer, Bockkäfer) vergleichsweise weniger gesicherte rezen- 706 te Datensätze vor. In Museen mögen zusätzliche Fun- de einer Indentitätsprüfung harren. Bisher wurden nur die Daten aus dem Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Dessau (MNVD) berücksichtigt. Erst in neuerer Zeit werden Tenebrionidae auch bei faunistisch-ökologischen Gutachten erfasst (z.B. Bussler & Schmidl 1997, Sprick 2000, Dietze & Schornack 2002). Seit dem Erscheinen der 1. Fassung im Jahre 2004 wurden mit Laena viennensis im Fallstein bei Osterwieck durch Weigel (Weigel & Jung 2014) und Schwarzkäfer Tab. 3: Änderungen in der Anzahl der Einstufungen in die Gefährdungskategorien im Vergleich der Roten Listen der Schwarzkäfer Sachsen- Anhalts aus den Jahren 2004 und 2020. Gefährdungskategorie 0 – Ausgestorben oder verschollen R – Extrem seltene Arten mit geographischer Restriktion 1 – Vom Aussterben bedroht 2 – Stark gefährdet 3 – Gefährdet Gesamt Rote Liste 2004 (AZ = 39) (absolut) (%) 5 12,8 ---- 2 3 7 175,1 7,7 17,9 43,58 6 8 3013,3 10,0 13,3 50,0 Neomida haemorrhoidalis bei Wittenberg durch Bäse zwei Arten neu für Sachsen-Anhalt nachgewiesen, erstere zugleich als Neufund für Deutschland. Dabei ist die Herkunft von L. viennensis, einem Präglazialre- likt, außerhalb ihres angestammten Verbreitungsge- bietes vom östlichen Österreich bis zu den Karpaten bisher nicht erklärbar. Grundlage für die Einschätzung der Gefährdung der Tenebrionidae in Sachsen-Anhalt war neben der Auswertung der faunistischen Arbeit von Bor- chert (1951) und des online-Verzeichnisses der Käfer Deutschlands vor allem die Zusammenfassung zahl- reicher Funddaten. Insgesamt wurden etwa 2.900 Datensätze berücksichtigt. Die Nomenklatur richtet sich nach Bleich et al. (2018). Bemerkungen zu ausgewählten Arten, Gefährdungs- ursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Die Hauptgefährdung für Schwarzkäfer ist die Beein- flussung oder das Verschwinden ihrer Habitate. Arten der sandigen, trockenen Habitate (z.B. Blaps lethifera, Pedinus femoralis) sind durch Nährstoffein- trag (Eutrophierung) in ihren Vorkommen bedroht. Außerdem besteht in vielen Fällen die Notwendigkeit der Sukzessionsverhinderung (z.B. Binnendünen im Gebiet der Mittelelbe). Holzpilz- (z.B. Platydema violaceum, Platydema dejeanii) und Holzbewohner (z.B. Corticeus fasciatus, Art (wiss.) Allecula rhenana Bach, 1856 Blaps lethifera Marsham, 1802 Blaps mortisaga (Linnaeus, 1758) Blaps mucronata Latreille, 1804 Corticeus bicoloroides (Roubal, 1933) Corticeus fasciatus Fabricius, 1790 Corticeus fraxini Kugler, 1794 Corticeus linearis Fabricius, 1790 Corticeus longulus Gyllenhal, 1827 Corticeus pini Panzer, 1799 Diaclina fagi (Panzer, 1799) Rote Liste 2020 (AZ = 60) (absolut) (%) 8 11,7 Tenebrio opacus, Neatus picipes) sind Besiedler von in- takten Totholzhabitaten, deren Struktur und Qualität durch Holzeinschlag, Beräumung der Wälder, Nadel- holz-Forstungen negativ beeinflusst werden (detail- lierte Angaben hierzu in Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 2003). Im Einzelnen bedeutet der Wegfall spezifischer Nischen (z.B. Tenebrio opacus: alte Eichen mit größe- ren Mulmhöhlen) einen Verlust der Nahrungsgrund- lage. Als Schutzmaßnahme gilt deshalb besonders der Erhalt dieser Habitate. Zusätzlich ist eine genau- ere, flächendeckende Erfassung der Schwarzkäfer, z. B. im Rahmen von Gutachten besonders in Wald- gebieten und auf Trockenrasen notwendig, um eine Abschätzung der Gefährdungstendenzen möglich zu machen. Deshalb soll die vorliegende Klassifizierung als Anreiz angesehen werden, weitere Daten einzu- bringen und kritisch zu diskutieren. Danksagung Dank gebührt insbesondere Herrn Dr. Peer Schnitter vom Landesamt für Umweltschutz in Halle, den Fach- kollegen der Planungsbüros Myotis (Halle/S.) und ÖKOTOP/Halle für die Überlassung von Fallenmaterial sowie den Herren Wolfgang Bäse (Wittenberg) und Andreas Weigel (Wernburg) für die Übermittlung von Funddaten. Kat. 0 1 3 0 2 2 0 2 2 0 V Bem. H, 1951 01) S S, 1951 01) H H, 1951 01) H H H, 1951 01) 707
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Halle, Heft 1/2020: 293–302 11 Bearbeitet von Martin Trost, Bernd Ohlendorf, René Driechciarz, Antje Weber, Thomas Hofmann und Kerstin Mammen (3. Fassung, Stand: Dezember 2018) Einführung Die Säugetiere sind traditionell eine der am meisten beachteten Artengruppen. Sie stellen etliche Haus- und Heimtiere, für die Jagd sind sie von zentraler Bedeutung, einige Arten verursachen teilweise große Wildschäden in Land- und Forstwirtschaft, andere Arten sind Vorratsschädlinge, Krankheitsüberträger, Mitbewohner menschlicher Behausungen oder inva- sive Neozoen. Neben ökonomischen Faktoren spielen vielfach auch tief verwurzelte emotionale Aspekte bis hin zu mythischen Überhöhungen eine wichtige Rolle. Fachliche Aussagen zur Gefährdung werden daher teil- weise kontrovers diskutiert und intensiv hinterfragt. Die aktuelle Gesamtartenliste der Säugetiere Sachsen-Anhalts umfasst 81 Arten, wovon 77 Arten mit etablierten Beständen vertreten sind bzw. waren. Die aktuelle Rote Liste enthält davon 44 Arten und weist damit deutliche Änderungen gegenüber der Fassung von Heidecke et al. (2004) auf. Die Kriterien zur Erstellung Roter Listen auf Bundesebene (Ludwig et al. 2009) wurden als methodische Referenz herange- zogen. Die Wahrung der Vergleichbarkeit der Gefähr- dungseinstufungen über die gesamte Artengruppe stellt aber methodisch eine Herausforderung dar. So sind z.B. Bestandsgrößen und Verbreitungsangaben von Arten mit stark differierenden Aktionsräumen un- terschiedlich zu werten. Schwierig zu beurteilen sind auch die komplexen funktionalen Zusammenhänge von Sommer-, Winter- und Schwärmquartieren bzw. zwischen Sommer-, Winter- und ziehendem Bestand bei Fledermäusen. Wie auch schon 2004 werden die unwiederbring- lich ausgerotteten Arten Wildpferd und Auerochse, aber auch Wisent und Braunbär, deren Wiederansied- lung im Freiland Sachsen-Anhalts nicht zu erwarten ist, nicht in der Roten Liste geführt. Ebenfalls nicht in der Roten Liste geführt werden Arten, die mit Einzel- exemplaren außerhalb ihres eigentlichen Areals nach- gewiesen wurden und nicht zum etablierten Arten- bestand des Landes gehören (Kegelrobbe, Seehund) sowie sich derzeit zwar im Zuge des Klimawandels nach Norden ausbreitende, in Sachsen-Anhalt bereits nachgewiesene Arten, für die jedoch noch keine eta- blierten Populationen belegt sind (Alpenfledermaus, Wimperfledermaus). Hingegen sind diejenigen Arten enthalten, die erst in jüngerer Zeit ausgestorben sind oder von denen gelegentlich Exemplare einwandern, ohne sich wieder zu etablieren, wie der Elch. Säugetiere (Mammalia) Sieben in Sachsen-Anhalt etablierte Arten sind Neozoen, die grundsätzlich nicht in der Roten Liste eingestuft werden. Vier davon sind in der EU-Verord- nung 1143/2014 über invasive gebietsfremde Arten enthalten. Datengrundlagen Wie auch in früheren Fassungen der Roten Liste wird zur Beurteilung langfristiger Tendenzen des Arten- bestandes auf historische Werke aufgebaut (s. Heidecke et al. 2009). Eine wichtige aktuelle Grundlage ist die Checkliste von Hofmann et al. (2016), in der die Be- standssituation unter Berücksichtigung lang- und mittelfristig aussagefähiger Quellen zusammenge- fasst wurde. Die Nomenklatur der Arten folgt analog zu Hofmann et al. (2016) bei den Fledermäusen Dietz et al. (2007) und bei den anderen Ordnungen Wilson & Reeder (2005). Während in letzter Zeit säugetierkundliche Arbeiten an Hochschulen Sachsen-Anhalts weiter in den Hintergrund rückten, nahmen behördlich (ins- besondere Landesamt für Umweltschutz) initiierte und finanzierte Erfassungsarbeiten zu den Arten der FFH-Richtlinie erheblich zu, sowohl im Rahmen der Verbreitungserhebung als auch des FFH-Stichproben- monitorings. Umfangreiche ehrenamtliche Arbeiten wurden vom Arbeitskreis Fledermäuse Sachsen-An- halt in Zusammenarbeit mit der Referenzstelle Fleder- mausschutz, aber auch vom Arbeitskreis Biberschutz in Zusammenarbeit mit der Referenzstelle Biberschutz geleistet. Daraus resultierend hat sich der Kenntnis- stand zu den Arten der Anhänge der FFH-Richtlinie deutlich verbessert. Die Ergebnisse dieser landeswei- ten Arbeiten liegen teilweise in publizierter Form vor (z.B. Götz 2015, Weber & Trost 2015, Schumacher 2017, Weber 2013, 2017, jährliche Mitteilungen des AK Biber- schutz, Trost & Vollmer 2018a,b), vielfach aber nur als unveröffentlichte Gutachten bzw. Datenbanken, die nur unvollständig erschlossen sein dürften. Die Kehrseite der Konzentration auf FFH-Arten war eine Stagnation des Kenntnisstandes zu den meisten Nicht-FFH-Arten. So kamen überregionale Aktivitäten der Initiative „Säugetierfauna“ vorüber- gehend nahezu zum Erliegen. Die regionalen faunis- tischen Zusammenstellungen im Rahmen der Arten- und Biotopschutzprogramme des Landes wurden nach 2008 nicht weitergeführt. Mit eher lokalem, teilweise auch regionalem Bezug wurden allerdings weiterhin Arbeiten publiziert (z.B. Benecke & Görner 2007, Driechciarz 2011, 2015, Driechciarz et al. 2018, Driechciarz & Driechciarz 2013, Stubbe et al. 2013, Zuppke & Berg 2017, Wüstemann 2018). Die faktenbasierte Be- urteilung von aktuellen landesweiten Tendenzen ist aber vor allem für Nicht-FFH-Arten schwierig. 293 Säugetiere 1 2 4 3 Abb. 1: Die Hausspitzmaus (Crocidura russula) lebt überwiegend unauffällig in extensiv genutzten Lebensräumen der Kulturlandschaft, ins- besondere auch in menschlichen Siedlungen (Foto: M. Trost). Abb. 2: Die Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros) war einst weit verbreitet. Im 20. Jh. ging ihr Bestand extrem stark zurück, so dass sie in vielen Gebieten regional ausstarb. Seit den 1990er Jahren ist eine Bestandsstabilisierung im Süden Sachsen-Anhalts zu verzeichnen. Es besteht eine starke Bindung an anthropogene Quartiere (Foto: M.Trost). Abb. 3: Das Braune Langohr (Plecotus auritus) ist eine waldbewohnende Fledermausart, die aber auch von geeigneten Quartieren in Gebäu- den und unterirdischen Objekten abhängig ist (Foto: E. Driechciarz). Abb. 4: Die Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii) gilt als charakteri stische Art historisch alter Wälder mit hohem Anteil von Höhlenbäumen, die durch forstliche Überprägung gefährdet sind. Winterquartiere befinden sich überwiegend in unterirdischen Objekten wie Höhlen und Kellern (Foto: E. Driechciarz). 294 Säugetiere 5 6 7 Abb. 5: Der Feldhase (Lepus europaeus) ist zwar noch großräumig verbreitet, verzeichnet jedoch gravierende Bestandseinbrüche in der offe- nen, intensiv genutzten Agrarlandschaft (Foto: M. Trost). Abb. 6: Der Feldhamster (Cricetus cricetus), der bis Mitte des 20. Jh. als Schädling im Ackerbau galt, steht unter den Bedingungen der industriellen Landwirtschaft vielfach vor dem regionalen Aussterben (Foto: E. Driechciarz). Abb. 7: Die Haselmaus (Muscardinus avellanarius) hat ein eingeschränktes Verbreitungsgebiet im Süden Sachsen-Anhalts, an dessen nörd- lichem Rand Verluste von stark isolierten Teilpopulationen zu befürchten sind (Foto: M. Trost). 295
Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39 (2004) Rote Liste der Ohrwürmer (Derma- ptera) des Landes Sachsen-Anhalt Bearbeitet von Michael WALLASCHEK unter Mitarbeit von Hans-Markus OELERICH, Klaus RICH- TER und Martin SCHULZE (2. Fassung, Stand: Februar 2004) Einführung Die weltweit etwa 1.300 rezenten Ohrwurmarten (GÜNTHER 2000) sind ausgesprochene Dämme- rungs- und Nachttiere, die zugleich eine hohe Luftfeuchtigkeit verlangen. Sie bevorzugen Schlupfwinkel, in denen sie mit möglichst vielen Körperseiten oder -stellen Kontakt mit dem um- gebenden Substrat haben. Angegriffen, wehren sie sich durch Kneifen mit den für dieses Taxon charakteristischen Zangen und durch Absonde- rung eines die Haut ätzenden Sekretes. Nur acht Ohrwurmarten sind in Deutschland indi- gen (MATZKE 2000, WALLASCHEK 1998). Angesichts dieser geringen Artenzahl sowie der auf Ekel und Angst beruhenden Einstellung vieler Menschen diesen Tieren gegenüber kann das mangelnde Interesse an den Dermapteren nicht verwundern. Allerdings hat sich herausgestellt, dass heimische Ohrwurmarten in bestimmten Lebensräumen zu den dominanten Tierarten oder -gruppen hinsicht- lich Siedlungsdichte und Biomasse gehören kön- nen (ELLENBERG et al. 1986). Von einzelnen Derma- pterenarten ist bekannt, dass sie sehr spezielle ökologische Ansprüche besitzen (HARZ 1957). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich die heimische Ohrwurmfauna zudem in ihrer Zoogeographie und Ökologie erstaunlich vielfältig (WALLASCHEK 1998). Die zoo- oder pantophage Ernährungsweise hat Untersuchungen zum Einsatz von Dermapteren- arten, darunter auch heimischen, für die biologi- sche Schädlingsbekämpfung angeregt (CAUSSANEL & ALBOUY 1991). In der Kleingartenpraxis wird der bekannte Gemeine Ohrwurm, Forficula auricula- ria LINNAEUS, 1758, mancherorts bereits in diesem Sinne gefördert. Gelegentlich mag er aber auch als Pflanzen- oder Vorratsschädling, Lästling und in seltenen Fällen durch Verschleppen von Krank- heitserregern der Kulturpflanzen und des Men- schen in Erscheinung treten (BEIER 1959). Nicht unerwähnt soll bleiben, dass den heimischen Dermapterenarten, -faunen und -taxozönosen Zeigerfunktion für die Landschaftsstruktur, den Grad des anthropogenen Einflusses und einzel- ne ökologische Faktoren zukommen kann. Somit lassen sie sich durchaus im Rahmen der Bioindi- kation in der Landschaftsplanung einsetzen (WAL- LASCHEK 1998). Datengrundlagen Zur Dermapterenfauna Sachsen-Anhalts zählen nach bisheriger Kenntnis fünf Arten (WALLASCHEK et al. 2002). Diese Arbeit enthält die aktuelle Checkliste sowie die Liste der faunistischen Pri- märliteratur und wichtiger Beiträge der Sekundär- literatur über die Ohrwürmer in Sachsen-Anhalt. Wie in diesem Beitrag richtet sich im Folgenden die Systematik und Nomenklatur der Dermaptera nach HARZ & KALTENBACH (1976). Hinsichtlich der deutschen Namen folgen wir HARZ (1957). Für die Synonyma wird auf ZACHER (1917), HARZ (1957) und HARZ & KALTENBACH (1976) verwiesen. Die letz- ten beiden Bücher sowie GÖTZ (1965) sind wichti- ge Bestimmungswerke. Bemerkungen zu ausgewählten Arten; Gefährdungsursachen und erforderliche Schutzmaßnahmen Die meisten Ohrwurmarten Sachsen-Anhalts, nämlich Labidura riparia (PALLAS, 1773), Labia minor (LINNAEUS, 1758) und Forficula auricularia LINNAEUS, 1758, sind kosmopolitisch verbreitet. Chelidurella guentheri (GALVAGNI, 1993) und Apte- rygida media (HAGENBACH, 1822) sind hingegen auf Europa beschränkt (HARZ 1960, HARZ & KALTEN- BACH 1976). Da sich der faunistische Kenntnisstand über die heimischen Dermapterenarten deutlich verbessert hat (WALLASCHEK et al. 2002), kann ein- geschätzt werden, dass die letzten vier Arten in Sachsen-Anhalt verbreitet bis sehr weit verbreitet vorkommen und nicht bestandsgefährdet sind. Obschon der Sand-Ohrwurm, Labidura riparia, kosmopolitisch verbreitet ist, reicht er in Europa nördlich der Alpen lediglich bis zur Nord- und Ost- see und kommt in Deutschland nur zerstreut vor (HARZ & KALTENBACH 1976, SCHIEMENZ 1978). In Mit- teldeutschland häuften sich aber in letzter Zeit durch die Intensivierung der Beobachtungstätig- keit Funde aus Braunkohletagebauen, Kies- und Sandgruben sowie Truppenübungsplätzen (vgl. MATZKE & KLAUS 1996, WALLASCHEK 1999). In Sach- sen-Anhalt wird die Art ebenfalls schon seit lan- gem hauptsächlich in solchen Sekundärlebens- räumen gefunden (WALLASCHEK 2000), doch liegen z.B. auch vom Elbufer Beobachtungen vor (WAL- LASCHEK et al. 2002). Labidura riparia lebt im allgemeinen in fast vege- tationslosen, gut durchwärmten, oberflächlich schnell abtrocknenden Sandflächen. Häufig, aber bei weitem nicht immer, weisen die Flächen ei- nen hohen Grundwasserspiegel (oft Gewässer- ufer) oder eine höhere Bodenfeuchtigkeit über stauenden Schichten auf. In solchen Plätzen hält sich der Sand-Ohrwurm unter Steinen, Holzstü- cken, Blech- und Plastteilen etc. auf, wo sich eine höhere Feuchtigkeit als in der Umgebung einstellt Artenzahl (absolut) Anteil an der Gesamtartenzahl (%) 0 - - Gefährdungskategorie R 1 2 - - 1 - - 20,0 3 -Rote Liste 1 -20,0 und auch bestehen bleibt (WALLASCHEK 1999). WEIDNER (1941) nimmt als pleistozäne Refugial- räume des Sand-Ohrwurmes Südwest- und Os- teuropa an. Die postglaziale Rückwanderung in den nord- und mitteldeutschen Raum sei entlang der Urstromtäler, in die sich auch das Elbtal ein- ordnet, erfolgt. Heute spielt wohl für die Ausbrei- tung der Art, insbesondere bei der Besiedlung von Sekundärlebensräumen, Anthropochorie eine gro- ße Rolle (WALLASCHEK 1999). Durch den Mangel an natürlicher Flussdynamik werden heute nur im Ausnahmefall neue primäre Trockenbiotope in den Flusstälern des Landes ge- schaffen, die den Ansprüchen von Labidura ripa- ria genügen. Auf solche Lebensräume wird beim Flussausbau bisher wohl kaum Rücksicht genom- men. Die Sekundärlebensräume des Sand-Ohrwurmes verlieren durch Vermüllung, Rekultivierung (Auf- forstung, Ansaat von Grasmischungen), Flutung, Aufgabe oder Reduzierung der militärischen Nut- zung und natürliche Sukzession der Pflanzenbe- stände schnell an Wert für die Art. So gingen im letzten Jahrzehnt durch mangelnde Kenntnis oder Rücksichtnahme sowie das Fehlen geeigneter Gesamt 5 Tab. 1: Übersicht zum Gefähr- dungsgrad der Ohrwürmer Sachsen-Anhalts. Schutz- und Pflegemaßnahmen zunehmend Le- bensräume verloren. Zudem schafft der Braunkoh- lenbergbau in Sachsen-Anhalt bei weitem nicht mehr so viele Sekundärlebensräume wie im letz- ten Jahrhundert. Deshalb ist zu befürchten, dass das Gros der verbliebenen Sand-Ohrwurm-Be- stände im nächsten Jahrzehnt verschwindet. Daher sollte die natürliche Flussdynamik gefördert und die Erhaltung der Sandufer und von Sandbän- ken gewährleistet werden. Bepflanzung solcher Flächen ist zu unterlassen. Auf den Flussausbau muss soweit wie möglich verzichtet werden. Die Sekundärlebensräume sollten möglichst vor Vermüllung, Aufforstung und Ansaat von Grasmi- schungen geschützt werden. Stehen ausreichend Flächen zur Verfügung, wie z.B. auf Truppenü- bungsplätzen, in großen teilweise aufgelassenen Sandgruben oder in Naturschutzgebieten, kann durch umlaufendes abschnittsweises Abschieben des Oberbodens Erhaltungspflege betrieben wer- den. Auch kleinere Sekundärlebensräume sollten naturschutzrechtlich gesichert und durch Pflege oder besser Nutzung (z.B. Austrag kleiner Men- gen von Sand für gemeindliche Zwecke wie We- gebau) erhalten werden. Art (wiss.)Art (deutsch)Kat.Bem. Labidura riparia (PALLAS, 1773)Sand-Ohrwurm2V, A Nomenklatur nach HARZ & KALTENBACH (1976), deutsche Namen nach HARZ (1957). Abkürzungen und Erläuterungen, letzter Nachweis/ Quelle (Spalte Bem.)V- LiteraturNordwest-Sachsens und angrenzender Gebiete (Insecta, Dermaptera, Labiduridae).- Mauritiana (Altenburg), 16(1): 57-70. SCHIEMENZ, H. (1978): Dermaptera - Ohrwürmer.- In: STRESE- MANN, E. (Hrsg.)(1978): Exkursionsfauna für die Gebiete der DDR und der BRD. Bd. 2/1 Wirbellose, Insekten - Ers- ter Teil.- Volk und Wissen (Berlin): 91-92, 95-96. WALLASCHEK, M. (1998): Zur Ohrwurmfauna (Dermaptera) zweier Naturschutzgebiete im Naturraum Unteres Unstrut-Berg- und Hügelland.- Abh. Ber. Mus. Heineanum, 4: 71-86. WALLASCHEK, M. 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