Der Eintrag von Stickstoff in die Umwelt verursacht vielfältige Probleme. Für die Konzeption von Minderungsmaßnahmen ist es eine wesentliche Voraussetzung, die Quellen, Senken und Flüsse reaktiver Stickstoffverbindungen (Nr) zu quantifizieren. Im Rahmen des überarbeiteten Göteborg-Protokolls zur Convention on Long-Range Transboundary Air Pollution (CLTRAP) wurde 2012 vereinbart, die nationalen Stickstoff-Flüsse zu erfassen. Das "Guidance document on national nitrogen budgets" der Economic Commission for Europe bildet dafür den Ausgangspunkt (ECE 2013). In einer nationalen N-Bilanzierung (NNB) werden für acht Pools die ein- und ausgehenden Nr-Flüsse berechnet: Atmosphäre, Energiewirtschaft und Verkehr, Industrielle Produktion, Ernährung und Konsum, Landwirtschaft, Wald und semi-natürliche Flächen, Abfallwirtschaft und Abwasserentsorgung, Gewässer sowie die grenzüberschreitenden N-Flüsse (Importe und Exporte). Die N-Flüsse werden aus statistischen Be-richten, Veröffentlichungen etc. direkt entnommen oder als Produkt aus der transportierten bzw. um-gesetzten Stoffmenge und deren mittlerem N-Gehalt berechnet. Insgesamt werden für Deutschland rund 150 N-Flüsse beschrieben, die Unsicherheit der Ergebnisse wird in vier Stufen von "sehr gering" bis "hoch" eingestuft. In Deutschland werden jährlich 6275 kt Nr a-1 in Umlauf gebracht (Mittelwert 2010 bis 2014), davon 43 % über die Ammoniak-Synthese. Die inländische Förderung und der Import von N-haltigen fossilen Energieträgern (Braunkohle, Steinkohle, Rohöl) tragen 2335 kt N a-1 dazu bei. Mit der Stickstoff-Fixierung als einzigem natürlichen Prozess werden 308 kt N a-1 in organisch gebundenen Stickstoff überführt. Als bedeutendste Senke von Nr werden mit der Verbrennung von fossilen und regenerativen Energieträgern sowie mit der Verarbeitung von Rohöl zu Mineralölprodukten 2711 kt N a-1 wieder in N2 überführt. In Gewässern, Böden und Kläranlagen werden 1107 kt N a-1 denitrifiziert. Über die Atmosphäre und den Gewässerabfluss exportiert Deutschland netto 745 kt N a-1 in seine Nachbarländer und in die Küstenmeere. Die Änderung des N-Bodenvorrats wurde bislang nur für Waldböden ermittelt, für die ein Abbau von 293 kt N a-1 berechnet wird. Der NNB zufolge werden in Deutschland jährlich 1627 kt Nr a-1 freigesetzt. Die NNB ist allerdings durch größere Unsicherheiten gekennzeichnet, was bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden muss. Quelle: Forschungsbericht
Die übermäßige Freisetzung reaktiver Stickstoffverbindungen in die Umwelt durch landwirtschaftliche Produktion, Energieumwandlung und Mobilität führt zu Problemen, die dringend gelöst werden müssen: Verlust aquatischer und terrestrischer Biodiversität, Beeinträchtigung der Luftqualität, Freisetzung von Treibhausgasen und erschwerte Nutzung des Grundwassers als Trinkwasser. Die planetare Belastbarkeitsgrenze (Planetary Boundary) für Stickstoff ist deutlich überschritten. Die Bundesregierung hat im Frühjahr 2017 in ihrem ersten Stickstoff-Bericht auf die Problematik hingewiesen und einen ressortübergreifenden Handlungsbedarf für Deutschland festgestellt. Im Zuge dessen hat das Umweltbundesamt dazu mehrere Projekte lanciert, unter anderem das Projekt DESTINO mit zwei Zielen: Erstens die Herleitung eines integrierten Stickstoffindikators, der sektor- und medienübergreifend die aktuellen Belastungen charakterisiert mitsamt einem nationalen Stickstoffziel, das die Belastungsgrenze aufzeigt (Teilbericht 1). Zweitens die Aktualisierung des nationalen Stickstoff-Budgets entlang internationaler Vorgaben aus dem Göteborg-Protokoll (Teilbericht 2). Der vorliegende Bericht ist der Teilbericht 1 des DESTINO Projekts und dokumentiert die Herleitung des integrierten Stickstoffindikators. Dieser orientiert sich an Stickstoffsensitiven Schutzgütern: Erhaltung der biologischen Vielfalt, Vermeidung von Eutrophierung der Ökosysteme, Erhaltung von Grundwasser-, Oberflächengewässer- und Luftqualität sowie Einhaltung der Klimaschutzziele. Der Zielwert des integrierten Stickstoffindikators, das nationale Stickstoffziel, beziffert die Belastungsgrenze, um die Schutzziele einhalten zu können. Mit diesem wirkungsbasierten, nationalen Stickstoffziel wird erstmalig ein der Planetary Boundary komplementärer Wert für die nationale Ebene vorgeschlagen. Aus dem Ausmaß der Überschreitung von Schutzzielen (z.B. Immissionsgrenzwerte) und aus den aktuellen Stickstofffreisetzungen (z. B. Emissionen) gelingt es mit Hilfe von Rückwärtsrechnungen, die Belastungsgrenzen zu quantifizieren (DESTINO-Zielwerte), mit denen die Schutzziele im räumlichen Mittel einzuhalten wären. Der integrierte Stickstoffindikator entspricht der Summe der jährlichen Stickstoffverluste in die Umwelt in Deutschland und beläuft sich aktuell (IST-Zustand) auf 1.574 kt N a-1 (1 kt = 1.000 Tonnen), was rund 19 kg N pro Einwohner pro Jahr entspricht. Die summierten Belastungsgrenzen für die einzelnen Schutzgüter ergeben für das nationale Stickstoffziel den Wert von 1.058 kt N a-1. Einige der ver-wendeten Teilziele sind bisher nur als Etappenziele vorhanden, die langfristigen gesundheitlichen und ökologischen Schutzziele wären noch ambitionierter, sind aber noch nicht festgelegt. Wären sie bekannt, läge das nationale Stickstoffziel noch niedriger. Aufgrund der benutzten Methoden stellt der Zielwert zudem nur den Mindestwert dar, der für die Betrachtung im räumlichen Mittel des Bundesgebietes gilt. Um die Schutzziele überall in Deutschland tatsächlich flächendeckend einhalten zu können, wären noch stärkere Reduktionen der Stickstoffverluste erforderlich. Mit dem berechneten nationalen Stickstoffziel von 1.058 kt N a-1 müssen die aktuellen Stickstoffverluste um mindestens einen Drittel verringert werden. Das nationale Stickstoffziel dient als Ergänzung bestehender, sektorspezifischer Indikatoren und Ziele und soll die dringend nötige Kommunikation unterstützen, die es braucht, um die Verluste reaktiven Stickstoffs zu verringern. Für kommunikative und politische Zwecke ist die Verwendung eines gerundeten Wertes von 1.000 kt N a-1 zulässig. Die parallele Weiterführung und die Überprüfung bestehender Indikatoren für stickstoffbezogen Schutzgüter, inklusive der Überwachung der räumlichen Komponente, sind dabei unerlässlich. Quelle: Forschungsbericht